Interview mit Dr. habil. Ulrich Busch

Gerade erst ausgehängt, zierte bereits kurz nach Beginn des Semesters ein fetter Strich den Plan mit den Lehrangeboten der Fakultät. Er löscht die Veranstaltung aus, die bis zum vorigen Jahr von Dr. habil. Ulrich Busch angeboten worden war: Theorie und Politik des Transformationsprozesses in Zentraleuropa. Ausgezeichnet hatte sich diese Vorlesung, ebenso wie die Vorlesungen zur Geldtheorie, durch die Erklärung wirtschaftlicher Phänomene auch unter Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Theorien. Die Vorlesung zur Transformation Osteuropas unterschied sich außerdem dadurch, daß der Lehrende über ausgezeichnete Spezialkenntnisse der Situation in Zentral-/Osteuropa verfügt, die an der Fakultät sehr selten geworden sind. Ende Juni läuft nun der befristete Vertrag der Universität mit Ulrich Busch aus. Eine Verlängerung bis zum Ende des Semesters oder wenigstens bis zum Ende der Prüfungszeit lehnte die Personalabteilung der Universität ab und sorgte so für den dicken Strich im Stundenplan.
 
1.  Sagen Sie uns bitte kurz etwas zu Ihrer Person.

Von Beruf Bankkaufmann, studierte ich von 1969 bis 1973 an dieser Fakultät, promovierte 1976 (Dr. oec.) und war danach im Bankwesen tätig. 1981 kehrte ich wieder an die Universität zurück und habilitierte mich 1984 zum Dr. sc. 1987 erfolgte die Berufung zum Hochschullehrer, das heißt zum Dozenten; zwischen 1987 und 1991 war ich stellvertretender Institutsleiter und 1992 amtierender Direktor des Instituts Volks-wirtschaftslehre. Dann, im Zuge der Neukonstituierung der Fakultät, kam es zur sukzessiven Herabstufung und Deklassierung und zum 30.6.97 schließlich zur Entlassung.

2. Wie sehen Sie sich selbst vor und nach 1989?

Biographien hängen vor allem von äußeren Bedingungen ab.  So war es auch bei mir: Einst Karl-Marx-Stipendiat (in der DDR die höchste Auszeichnung für Studenten, d.Red.), mit 25 bereits promoviert, mit 27 Direktor in der Staatsbank, mit 36 Hochschullehrer.  Hinter dieser scheinbar geradlinigen Karriere verbarg sich jedoch ein für mich bedeutsamer politischer Wechsel: die Abkehr vom DDR-Staatssozialismus Honnecker’scher Prägung und Hinwendung zu einer reformerischen und systemkritischen Position, was an der Universität, die eben nicht die vielzitierte „rote Kaderschmiede“ war, im Rahmen des Möglichen lag, nicht aber in der Staatsbank.

1989, nach dem Fall der Mauer, bot sich die historische Chance eines Neubeginns: Die Fakultät wurde umstrukturiert, Lehrinhalte neu definiert und Forschungsthemen konzipiert, die vorher tabu waren. Ich agierte dabei in vorderster Linie, u.a. als Leiter eines Arbeitskreises zur Geldtheorie und als Initiator und Mitherausgeber der ersten Ost-West-Gemeinschaftspublikation zur DDR-Wirtschaft, die im Frühjahr 1990 bei Rowohlt erschienen ist.

Diese Zeit des Aufbruchs war aber nur von kurzer Dauer. Es folgten Abwicklung, Evaluierung, Kündigung und Deklassie-      rung — als Folgen der Wiedervereinigung und der Politik des Berliner Senats.

3. Wie beurteilen Sie die Arbeit der Struktur- und Berufungskommission ?

Was als Abwicklung 1991 juristisch scheiterte, wurde durch die Struktur- und Berufungskommission unter Leitung von Prof. Krelle (Jahrgang 1916) schrittweise erreicht: die fast vollständige Auswechslung des Lehrkörpers. Dabei steht die Entwicklung an der Fakultät sinnbildlich für den deutschen Vereinigungsprozeß. Es kam nicht zu der versprochenen personellen Durchmischung und zu einem Pluralismus der Lehrangebote, sondern zur Vertreibung der Humboldtianer. Alle Positionen von Rang wurden von hervorragend qualifizierten und entsprechend ausgewiesenen „Wessis“ besetzt, die ostdeutschen Wissenschaftler dagegen degradiert, gedemütigt und größtenteils entlassen. „Was übrig blieb, ist nicht der Rede wert“, so der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Prof. Simon (Die Zeit v. 7.4.95). Resümee: Die Ost-West-Integration ist gründlich gescheitert. Das deutsch-deutsche Verhältnis an der Fakultät ist heute, etwas überspitzt formuliert, ein Verhältnis zwischen West-Professoren und Ost-Sekretärinnen.

4. Wie wurde die Personalsubstitution bewerkstelligt? Immerhin waren mehr als 100 Wirtschaftswissenschaftler davon betroffen.

Zum einen durch bedarfsbedingte Kündigungen, ein Vorgehen, welches das bundesdeutsche Recht eigentlich nicht erlaubt, das im Osten auf Grund von Sonderkündigungsbestimmungen aber zulässig war.  Zweitens durch die zwangsweise Befristung bestehender Verträge.

Bei Nichtakzeptanz der Befristung erfolgte umgehend die Kündigung.  Drittens durch die Neuausschreibung der Stellen, wobei die Bewerbungskriterien i.d.R. so formuliert wurden, daß sie für Ostdeutsche Ausschlußkriterien darstellten. Und viertens durch die systematische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für ostdeutsche Wissenschaftler, um sie zur Aufgabe ihrer Stelle zu bewegen.

5. Gibt es dafür Beispiele aus Ihrem eigenen Erleben?

Oh ja, mehr als genug! Im Grunde genommen waren die letzten Jahre an der Fakultät für mich nichts anderes als die Aufeinanderfolge derartiger Negativerlebnisse.  Dies begann 1991, als der Dekan, Prof. Kolloch, i.A. von Prof. Krelle mir in 14-tägigem Abstand die Kündigung in Aussicht stellte.  1993 wechselte dann plötzlich, während ich auf einer Dienstreise war, das Mobiliar aus meinem Arbeitszimmer in das eines westdeutschen Kollegen. Wenig später mußte ich auch das Zimmer räumen.  Ein anderer Arbeitsplatz wurde mir erst 9 Monate später zugestanden. Am 2.6.94 teilte mir der Dekan mit, daß mir „für meine wissenschaftlichen Arbeiten fortan keine Sekretärin mehr zur Verfügung steht“. Innerhalb von zwei Jahren wurde ich dreimal einem anderen Institut zugeordnet. Am 19.2.96 erfuhr ich, daß ich „nicht mehr Prüfer sein darf“ und auch keine Diplomarbeiten mehr betreuen soll. Zu allem Überfluß verlangte Prof. Siegel dann auch noch am 11.9.96, mich von der Funktion des ERASMUS-Koordinators zu entbinden.  Hätte der Dekan dem entsprochen, so hätte dies dazu geführt, daß ich im Rahmen von ERASMUS die Universität vertreten dürfte, denn dafür war ich von der Präsidentin autorisiert, nicht aber die eigene Fakultät!

6. Haben sich Ihre Erwartungen in bezug auf die Wende erfüllt ?

Nein! Zumindest nicht in bezug auf die Universität: Statt eines wirklichen Neuanfangs erlebten wir die Übertragung eines abgelebten Modells, statt Kooperation und Integration Ausgrenzung und Demütigung.  Der Neuaufbau des Wissenschaftsbetriebs geriet zur „größten Verdrängungsaktion der Wissenschaftsgeschichte“ (ND v. 12.2.93).  Dies gilt für die HU, ganz besonders aber für diese Fakultät. Die neben allem DDR-Ballast zweifellos auch vorhanden ge-wesenen positiven Traditionen und Werte — z.B.  die Beziehungen zu Osteuropa, die Sprach- und Regionalkenntnisse, die intime Kenntnis der DDR-Ökonomie, die Disziplinen Demographie, Ökologie und Wirtschaftsgeschichte als Lehr- und Forschungsgebiete, der interdisziplinäre wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Forschungsansatz u.a.m. — wurden beim Neuaufbau ignoriert bzw. bewußt liquidiert. Viele Studenten begrüßen dieses Tabula-rasa-Vorgehen, einige aber bedauern es auch, in einer traditionsreichen Fakultät in Berlin-Ost fast nur auf westliche Profs zu treffen und auf Lehrinhalte, die ebenso in Bonn, Augsburg oder Konstanz angeboten werden.

7. Vorhin haben Sie gesagt, Sie hätten den akademischen Grad eines Dr. sc. erworben, jetzt ist es plötzlich ein Dr. habil....?

In der DDR gab es den „Dr. habil.“ bis 1969. Danach erfolgte der Ausweis der Habilitation als „Dr. sc.“.  Der Einigungsvertrag (Art. 37) sieht hier nun eine Vereinheitlichung vor, jedoch auf der Grundlage einer vorherigen Gleichwertigkeitsfest-stellung. Während diese Prozedur in den anderen Bundesländern bereits 1991 durchgeführt wurde, zog sie sich in Berlin länger hin. An dieser Fakultät nun schon sieben Jahre! Praktisch kommt dies einer Nichtanerkennung der Qualifikation gleich, was für die Betroffenen, mich eingeschlossen, diskriminierend ist und erhebliche Nachteile auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt. — Stellen Sie sich vor, Sie bekämen Ihr Diplom nicht nach Abschluß aller Prüfungen ausgehändigt, sondern erst 7 Jahre später!

8. Bisher betreuten Sie verschiedene Austaschprogramme u.a. Erasmus und Sokrates, was wird daraus?

Schon bald nach der Wende knüpften wir Kontakte zum DAAD und zu westlichen Hochschulen, um den Studenten der Fakultät Studienmöglichkeiten im Ausland zu bieten. Einer der ersten Verträge dieser Art an der HU überhaupt wurde 1991 mit Paris und Antwerpen geschlossen. Die Verlängerung dieses Vertrages scheiterte jedoch an der Fakultät.

Einen zweiten Versuch startete ich mit Hilfe des akademischen Auslandsamtes 1993. Dieses ERASMUS-Projekt umfaßte insgesamt 32 Austauschplätze in Paris, Barcelona, Madrid und London und konnte über vier Jahre erfolgreich realisiert werden.  Als 1996 die Überführung des Vertrages in ein SOKRATES-Projekt anstand, scheiterte dies jedoch wiederum an der Fakultät, die zwar eine Reihe neuer Verträge (mit Toronto, Stockholm, Helsinki usw.) initiierte, an den bestehenden Kontakten aber nicht interessiert war.  Jetzt fliege ich nach Barcelona, um auf einer abschließenden Beratung die Beendigung dieser Austauschaktivitäten zu erklären.

Nicht viel anders steht es um die aus der DDR-Zeit stammenden Verträge mit Prag, Moskau, St. Petersburg, Warschau, Wroc-law, Sofia, Budapest, Belgrad usw.  Ich weiß nicht genau, wieviel Universitätsverträge an der Fakultät existierten, aber es war eine stattliche Anzahl. Mein Name steht in dem Vertrag mit Budapest und diese Kooperation hat bis heute funktioniert. Im Mai habe ich meine letzten Vorlesungen dort gehalten. Um zu retten, was noch zu retten ist, habe ich jetzt veranlaßt, daß dieser Vertrag künftig von einer anderen Fakultät der HU weitergeführt wird.

Die Fragen stellten Fabian Pilzecker und Christian Müller.