Nachlassendes Schulterklopfen

Ein Zwischenruf

Was war die medial verbreitete Hauptnachricht der streikenden Studenten an die Öffentlichkeit ? Wir wollen mehr Geld, mehr Bücher, mehr Professorenstellen - bei langen Wartezeiten auf Seminarplätze und vollen Hörsälen sind das wohl völlig berechtigte Forderungen. Wie kam es aber, daß wir sogleich von allen Politikern umarmt wurden, verbunden mit dem Lob, daß es diesmal nicht die spinnerten Weltveränderer sind, die demonstrieren, sondern anständige Studenten. Und wie kommt die spontane Unterstützung der Professoren, mit denen man doch sonst nicht immer einer Meinung ist?

Ich meine, es liegt daran, daß die o.g. Forderungen etwas diffus sind und im bestehenden politischen System einfach verwurstet werden: Rüttgers sagt ja, wir brauchen bessere Studienbedingungen und fügt hinzu, daß man die Studiengänge besser dem Bedarf der Wirtschaft anpassen muß (damit sie am Standort Deutschland bleibt).

Ich kritisiere gar nicht, daß das irgendwelchen Kapitalinteressen entspricht, sondern daß es schlicht und einfach sinnlos wäre, Studienfächer paßgerecht auf Berufsbilder in der Wirtschaft abzustimmen. Arbeitsmarktforschungen haben ergeben, daß der "Bedarf" der Wirtschaft nach jahrelanger Einrichtung der Lehrangebote bis zu den ersten Absolventen oft schon längst  von der wirtschaftlich-technischen Entwicklung überrollt wurde. Ulrich Beck hat in der Süddeutschen Zeitung vor kurzem sehr klar dargelegt, daß es vielmehr auf fachliches Grundwissen, fachübergreifendes Denken und die Kompetenz zum Umgang mit Unsicherheit in Entscheidungssituationen ankommt; daß wir "spezialisierte Generalisten" brauchen. Auf diesem Umweg müßten also die Humboldtschen Bildungsideale neu belebt werden.

Die Professoren sagen ja, die Hochschulen dürfen nicht kaputtgespart werden. Aber bei dem gegenwärtigen Entlohnungssystem, das keinen Anreiz zu qualitativ hochwertiger Lehre setzt und bei den bestehenden finanziellen Verteilungsstrukturen werden sie als erste davon profitieren, wenn mal wieder mehr Kohle fließen sollte. (An unserer Fakultät symbolträchtig an der Raumsituation zu sehen: den Studenten werden für Lehrveranstaltungen demnächst die Kellerräume geöffnet, die übrigen Etagen beherbergen die frisch sanierten Lehrstühle.)

Die Forderungen müßten also viel weiter gehen (sie tun es bereits, aber wer merkt das?). Mehr studentische Mitbestimmung bei der Verteilung der Mittel und der Gestaltung der Lehr- und Prüfungsordnungen zum Beispiel und über die Universität hinaus: ein Steuersystem, das nicht die Besserverdienenden mittels Investionsabschreibung für leerstehende Büroklötze aus der Verantwortung entläßt. Auch das vielzitierte Beispiel Eurofighter zeigt, daß es eben kein Sachzwang ist, daß für die Unis kein Geld übrig ist. Mit gehörigem Nachdruck vertreten, dürfte das anerkennende Schulterklopfen von allen Seiten allerdings bald nachlassen.

Genug Grund also, weiter zu protestieren, ob mit Streik oder ohne. Und die Entscheidung unserer VV am Freitag, nicht weiter zu streiken war vielleicht einfach realistisch - besser noch Lehre als peinliche Leere in den Hörsälen dieser Fakultät!

Carsten Sprenger