Interview mit Prof. Plinke

Hermes: Im Februar 1995 wurde die Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft an der Humboldt-Universität e.V. gegründet. Sie waren als Dekan einer der Initiatoren und sind auch heute noch im Vorstand vertreten. Ziel war es, die Zusammenarbeit von Wissenschaft und unternehmerischer Praxis zu fördern und gleichzeitig die internationale Ausrichtung von Forschung und Lehre zu unterstützen. Auch wurde damit die Hoffnung verbunden, den Ruf unseres Hauses als Wirtschaftsfakultät mit internationaler Ausrichtung zu verbessern. Hat sich diese Hoffnung bestätigt? Wo stehen wir heute im Spiegel der Öffentlichkeit?

Prof. Plinke: Die Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft hat bis heute etwa 80 persönliche Mitglieder und ca. 30 Firmenmitglieder. Im Rahmen ihrer gegebenen Möglichkeiten hat die Gesellschaft bereits segensreich für die Fakultät gewirkt. Man kann das auf verschiedenen Ebenen erkennen. Studenten, die zu einem Aufenthalt an eine ausländische Uni aufbrechen, bekommen Reisebeihilfen, unsere Wissenschaftler, die herausgehen werden ebenso wie wissenschaftliche Gäste, die hereinkommen, unterstützt, internationale Wissenschaftlerkonferenzen werden ermöglicht, ein praxisorientiertes Diplomarbeitsprojekt fand Hilfe, die Sieger im Planspielwettbewerb erhalten einen Preis, die zwei besten Absolventen der Fakultät erhalten eine besondere Auszeichnung - ich könnte noch viele Beispiele direkter Förderung nennen. Besonders wichtig aber erscheint mir der kluge und freundschaftliche Rat, den die Fakultät durch die Gremien der Gesellschaft erhält. Hinzu kommen die Vorträge international herausragender Praktiker und Wissenschaftler, die von der Gesellschaft ermöglicht werden.
Die Gesellschaft hat mit großen Anstrengungen und mit Hilfe der IHK erreicht, daß ein einmaliger Schatz von 35.000 historischen wirtschaftswissenschaftlichen Büchern gerettet und für die Nutzung durch die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät bereitgestellt wurde.
Lassen Sie mich noch eins hinzufügen: Vielleicht war die Tätigkeit der Gesellschaft bisher noch nicht genügend unter allen Studenten bekannt. Deshalb werden wir im kommenden Jahr eine fakultätsöffentliche Ausschreibung machen für Studenten, die im Ausland studieren wollen.
Wo wir in den Augen der allgemeinen Öffentlichkeit stehen, ist natürlich schwer zu sagen, das müßte man erst einmal erheben. In der wissenschaftlichen Öffentlichkeit stehen wir allerdings nach meiner eigenen Wahrnehmung sehr gut da. Das ist durch viele Dinge greifbar zu machen, vor allem durch die überdurchschnittliche Quote an Drittmitteln, also von außen eingeworbener Forschungsmittel, die man nur nach extrem strenger Begutachtung erhält. Auch in der Wirtschaft stehen wir sehr gut da, das können Sie sehen an der bisher überaus erfolgreichen Einwerbung von Stiftungsprofessuren für unsere Fakultät. Die Stifter haben sich ja für unsere Fakultät entschieden, weil sie etwas Besonderes von uns erwarten.
Es ist also seit der Gründung durchaus eine Menge passiert, das man vorzeigen kann.

Hermes: Seit dieser Zeit kursiert hier im Hause der Begriff "Elite-Universität". Was verstehen Sie unter Elite und wie stehen Sie zu diesem Anspruch?

Prof. Plinke: Das Wort Elite steht noch immer in der Gefahr, mißverstanden zu werden. Deshalb möchte ich gar nicht versuchen zu beschreiben, was andere darunter verstehen. Mir geht es um ein ganz einfaches Prinzip. Wir wollen, wie es Wilhelm Krelle, der Gründer unserer Fakultät formuliert hat, "einen der hauptstädtischen Situation Berlins, der alten Tradition der Friedrich-Wilhelm-Universität und des Namens Humboldt würdigen wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich schaffen, der sich im Kreis der führenden Fachbereiche in Deutschland und in Europa sehen lassen kann". Um dieses Ziel zu erreichen, sind die äußersten Anstrengungen aller Beteiligten, der Studenten, der Doktoranden und Habilitanden und der Professoren gefordert. Dazu müssen allerdings auch die entsprechenden Strukturen und Abläufe in Forschung, Lehre und Studium geschaffen werden. Daran arbeitet die Fakultät.

Hermes: In unserer HERMES-Umfrage äußerten sich die Studenten dazu, ob sie das Gefühl haben, jetzt schon an einer Elite-Uni zu studieren. Eine große Mehrheit verneinte dies. Zusätzlich gaben viele Kommentare in der Richtung ab, daß die Anforderungen an die Studenten schon sehr hoch seien, jedoch die Studienbedingungen einem Elite-Anspruch widersprechen. Teilen Sie diese Meinung und was kann von Seiten der Fakultät getan werden, um diesen Zustand zu verbessern?

Prof. Plinke: Einen Vergleich mit berühmten ausländischen Universitäten kann man sinnvoll erst anstellen, wenn einigermaßen vergleichbare Bedingungen existieren. Uns gibt es in diesem Monat genau fünf Jahre, und in dieser Zeit haben wir eine ganz gute Strecke zurückgelegt, trotz aller Widrigkeiten, die uns durch Stellenstreichungen und Sachmittelkürzungen aufgebürdet worden sind. Fragen Sie einmal danach, ob die Professoren Burda, Härdle, Günther, Güth, Stehle, die ehrenvolle Rufe an erstklassige Universitäten im In- und Ausland oder in die Praxis hatten, diesen verlockenden Angeboten gefolgt sind? Sie sind alle geblieben, sehr zum Glück unserer Fakultät. Aber das ist auch eine Auszeichnung für unsere Fakultät! Wir wünschen uns deshalb viele Rufe an unsere Kollegen, aber auch, daß sie sich für die Humboldt-Universität entscheiden. Die Studienbedingungen in unserer Fakultät sind verbesserungsbedürftig, das ist unbestritten. Daran wird von vielen in unserem Hause gearbeitet. Das ändert aber nichts daran, daß uns die Finanzmisere noch einige Zeit erhalten bleibt. Wir müssen uns auch in acht nehmen, keine falsche Anspruchshaltung zu entwickeln. Es wird noch lange dauern, bis unsere eigenen Alumni uns finanzielle Unterstützung geben können. Bis dahin sind Bescheidenheit und Kreativität angesagt. Und die Studierenden könnten auch einen Beitrag leisten. Kippen auf den Treppen und Pappbecher im Hörsaal sind für mich ein Ärgernis.

Hermes: Zur Zeit gibt es viele Diskussionen über eine Umgestaltung der Fakultätslandschaft. Unsere Fakultät bewarb sich um ein Programm des Stifterverbandes, in dem Reformfakultäten mit besonders innovativen Programmen unterstützt werden sollen. Worin zeichnet sich unsere Fakultät hierbei aus und welche Reformen werden bei uns diskutiert?

Prof. Plinke: Es ist zu früh, darüber im Detail zu sprechen. Der Stifterverband hat darüber zu befinden, ob wir die Voraussetzungen für eine Antragstellung erfüllen. Nur fünf Fakultäten in Deutschland aus allen Disziplinen werden ausgesucht. Natürlich wollen wir den Status einer Reformfakultät gerne haben. Das würde uns weiter anspornen. An der Antragstellung werden übrigens auch die Studenten unserer Fakultät beteiligt.

Hermes: Gleichzeitig laufen Gespräche zu einer neuen Verfassung der Humboldt-Uni. Darin wird ebenfalls die Umstrukturierung der Fakultätsleitung diskutiert. So stehen Vorschläge zur Diskussion, wie z.B. eben dem Dekan bis zu drei Prodekane in die Fakultätsleitung zu wählen und diese mit speziellen Aufgabenfeldern zu betrauen. Was halten Sie von einem solchen Modell?

Prof. Plinke: Meine persönliche Meinung dazu: Die Fakultät kann sich de facto so viele "Prodekane" aussuchen wie sie will, die Zahl der Titelträger ist nicht wichtig. Entscheidend ist, daß einer in der Fakultät die Verantwortung hat, und das ist der Dekan mit seinem Prodekan. Viel wichtiger als Ämtervielfalt ist, daß der Dekan bei der Fülle und der Heterogenität seiner Aufgaben, die er zusätzlich zu seinem Hauptberuf als Professor hat, nicht untergeht. Viele müssen helfen, damit das Ganze gelingt. Dieses geht aber bei uns besser nach dem Prinzip der Freiwilligkeit als mit allzu viel Formalismus und Bürokratie.

Hermes: An der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät gibt es schon einen Studiendekan, der sich ausschließlich mit den Angelegenheiten der Lehre befaßt. Damit wird der Dekan entlastet und der Lehrbetrieb kann besser koordiniert werden. Wäre dies nicht auch an der WiWi-Fakultät angebracht?

Prof. Plinke: Ein Studiendekan ist als "Prozeßpromotor" nur dann sinnvoll, wenn man sich über seine besonderen Aufgaben im Klaren ist und diesem dann auch Kompetenzen zuweist. Ansonsten läuft man Gefahr, daß keiner dieses Amt haben will.

Hermes: Unsere Ausbildung ist erklärterweise stark an die Forschung angelehnt und streng wirtschaftstheoretisch-mathematisch ausgerichtet. Womit kann man die damit einhergehende Vernachlässigung der Praxis rechtfertigen?

Prof. Plinke: Ich glaube nicht, daß die in Ihrer Frage unterstellte Vernachlässigung wirklich gegeben ist. Ich gestehe aber gerne zu, daß das Ziel einer theoretischen, forschungsorientierten Fakultät von Anfang an besonderen Rang für uns hatte und auch in Zukunft haben wird. Das heißt aber nicht, daß wir die Praxis vernachlässigen.
Praxisorientierung heißt an einer Universität ja im Normalfall nicht, daß wir Studenten in einer Weise tauglich machen, daß sie am Tag nach dem Diplom als Experten für eine bestimmte Aufgabe - sagen wir Kreditwürdigkeitsprüfung - einsetzbar sind. Eine Universitätsausbildung muß eine viel größere Reichweite haben, sie muß dem Absolventen auch noch geistiges Rüstzeug sein, wenn - bleiben wir bei dem Beispiel - die Kreditwürdigkeitsprüfung in fünf oder zehn Jahren vollständig von Computern durchgeführt wird.
Bildung und Ausbildung an einer Universität gehen weit über die Anforderungen der heutigen Praxis hinaus. Kein Mensch kann Ihnen heute sagen, was die Anforderungen der Praxis in fünf, zehn oder zwanzig Jahren sein werden. Studenten müssen lernen, selbst die Anforderungen der Zukunft zu erkennen, neue Lösungen zu entwerfen und Umsetzungen zu bewirken. Das ist einer der Gründe, warum wir ein theoriebasiertes Studium vermitteln.
Ich glaube auch nicht, daß die Praxis in unserer Fakultät nicht zu finden ist. Nehmen Sie das Kolloquium von Herrn Haegert und Herrn Siegel. Nehmen Sie die Praxisveranstaltungen von Herrn Hildebrandt. Da finden Sie Praxis! Ich selbst biete Unternehmensplanspiele an, die werden Sie ja nicht als Theorie einstufen, und ich mache Fallstudienworkshops nach der Harvard-Case-Methode. Nehmen Sie die anderen Lehrstühle dazu und schauen Sie genau hin. Man muß das Gesamtbild der Fakultät sehen.
Aber aber! Das Interesse der Studenten schäumt nicht gerade über bei meinen Praxisveranstaltungen. Ich habe deshalb manchmal einfach den Eindruck, daß die Klage nach zu wenig Praxis in unserer Fakultät gar nicht den Kern trifft.

Hermes: Unsere Fakultät bekam einen Stiftungslehrstuhl "Entrepreneurship" zugesprochen. In den USA wird dieses Fach vor allem unter praktischen Gesichtspunkten gelehrt, was im Idealfall bis zur Unternehmensgründung reicht. Wie wird dieses Fach bei uns konzipiert?

Prof. Plinke: Wenn wir den Lehrstuhl so besetzen können, daß aus der Tätigkeit des neuen Instituts auch Impulse für tatsächliche Unternehmensgründungen ausgehen, würde ich mich darüber ganz besonders freuen. Aber wir müssen auch die Kirche im Dorf lassen. Ein Lehrstuhl muß seinen Kern in wirtschaftswissenschaftlicher Forschung und Lehre haben. Unternehmertum, Entrepreneurship und Gründung kann ja nicht heißen, wir machen Marketing-, Buchhaltungs- und Steuerkurse für Gründer. Wenn ich es etwas überspitzt sagen darf - ein Forscher und Lehrer vom Zuschnitt Joseph Schumpeters ist für mich eher ein Leitbild für die inhaltliche Ausrichtung als ein praktischer Coach für Gründer.

Hermes: Viele Studenten fühlen sich bei der Vorbereitung auf ihre spätere praktische Tätigkeit allein gelassen.

Prof. Plinke: Das wundert mich. Mindestens in bezug auf Praktika im In- und Ausland höre ich immer nur, daß unsere Studenten besonders aktiv sind. Es hilft nichts: Jeder Student muß sein Engagement für Praktika erst einmal selbst in die Hand nehmen. Es werden doch auch vom Dekanat und den Instituten jede Menge Praktikantenstellen ausgehängt. Firmen rufen mich an und beschweren sich, daß sie keine Bewerbungen bekommen. Es kann so schlimm wohl nicht sein.
Was wir von der Seite der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft her noch zusätzlich machen können, ist die Hilfe beim Aufbau einer Praxisbörse. Wenn hier genügend Initiative bei den Studenten zu finden ist, würde die Gesellschaft mit Ihren Kontakten sicher hilfreich sein können.

Hermes: Wie kann von Seiten der Fakultät der Einstieg in die berufliche Praxis erleichtert werden? Sehen Sie hier noch Reserven?

Prof. Plinke: Ich mache mir Gedanken, wie wir den Übergang vom Studium in die Praxis unterstützen können. Ich würde gerne dabei helfen. Die Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft ist durchaus bereit, eine Art virtuelles Placement-Center zu unterstützen. Man kann sich ja vorstellen, daß alle interessierten Studentinnen und Studenten, sagen wir ab dem 7. oder 8. Semester, sich mit ihrer persönlichen Selbstdarstellung auf einer eigenen Seite einer Web-Site eintragen lassen und wir unter dem Namen unserer Fakultät gemeinsam aktive Werbung für diese Web-Site machen. Das kostet kein Vermögen und ist durchaus wirkungsvoll. Ich glaube, daß wir noch viel mehr aus dem Medium Internet für unsere Absolventen machen können. Was wir dazu brauchen, sind ein paar wenige begeisterte Studentinnen und Studenten. Dazu käme aus dem Kreis der Freunde der Fakultät der fachliche Rat, damit das ganze auch professionell durchgeführt wird.

Hermes: Was kann ein Student ihrer Meinung nach neben dem Studium jetzt schon tun, um sich auf den Berufseinstieg vorzubereiten?

Prof. Plinke: Meine Antwort wird Sie vielleicht überraschen. Das wichtigste, was Sie tun können, ja müssen, ist die regelmäßige und engagierte Lektüre des Wirtschaftsteils einer großen Tageszeitung. Wenn Sie das über vier Semester Hauptstudium tun, erfahren Sie weit mehr als in einem dreimonatigen Praktikum. Natürlich sind Praktika wichtig, es muß aber hinzukommen, daß ein Absolvent unserer Fakultät sich in den aktuellen wirtschaftlichen Themen auskennt. Zur Zeit wird bei uns morgens das Wall Street Journal im Foyer gratis ausgelegt. Ich wundere mich sehr, wenn ich nachmittags noch Exemplare liegen sehe.

Hermes: Eine Studentin erklärte sich uns gegenüber bereit, mit anderen Freiwilligen die Hallen unserer Fakultät zu malern. Spendiert die Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft die Farben?

Prof. Plinke: Die Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft hat sich bereits in der Vergangenheit außerordentlich für die Belange unseres Fakultätsgebäudes engagiert. Aus dem Kreis der Kuratoriumsmitglieder liegt eine Zusage über 1 Million DM vor, die für die Restaurierung der Heiliggeist-Kapelle vorgesehen ist. Diese großzügige Hilfe deckt aber noch nicht die Kosten ab. Wir machen uns deshalb seit seit geraumer Zeit Gedanken, wie wir weitere Spendenmittel einwerben können.
Was den Freiwilligeneinsatz zur Auffrischung unserer Wände angeht: ich finde das großartig! Wir sollten daraus eine Gemeinschaftsaktion für unsere Fakultät machen. Und die Wirtschaftswissenschaftliche Gesellschaft wird bei der Bezahlung des Materials gerne helfen!

HERMES dankt Ihnen für das Interview.

(DD, AS)