Herr Walther zaubert für alle

Interview mit Herrn Walther, auch bekannt als Türsteher vor dem HS 201

Jeder hat ihn schon gesehen, doch keiner weiß, wer und was er eigentlich ist, unser Herr Walther. Raumwart, Techniker, Safety-Guard? Vielleicht sogar Zauberer?
Ich habe ihn in seinem kleinen Reich hinter der braunen Tür in der zweiten Etage besucht und ihn näher kennengelernt...
Obwohl ich mich verspätet habe, empfängt mich Herr Walter freundlich und bittet mich einzutreten in sein kleines, aber feines ‘Büro’. Ich nehme Platz an einem gemütlichen runden Couchtisch und bekomme eine Tasse Kaffee.

Hermes: Lieber Herr Walther, sie stehen tagtäglich vor dem 201 und achten darauf, daß keiner Speisen und Getränke hereinschmuggelt. Was machen Sie sonst noch?

Herr Walther: Gemäß meinem Beruf bin ich für die gesamte Vorführtechnik im Hause verantwortlich. Dies bedeutet, daß ich die Tonanlage überwache, die Projektoren warte, technische Probleme läse und vieles andere mehr. Dazu gehärt auch, daß ich auf Sauberkeit und Sicherheit in den Härsälen achte.

Hermes: Seit wann sind Sie an unserer Fakultät tätig?

Herr Walther: Genaugenommen bin ich seit dem 16. März 1962 an der Humboldt-Universität tätig. Ich habe Wiedergabetechnik an der Filmhochschule Babelsberg studiert und als die Humboldt-Uni einen Filmvorführer für die Kinoabteilung im Hauptgebäude suchte, bin ich eingesprungen. Etwa fünf Jahre später wurde ich hier von der Abteilung Unterrichtstechnik sozusagen abgeworben, mußte aber weiterhin die Aufgaben in der Kinoabteilung überwachen. Ich habe einen neuen Kollegen eingearbeitet, der nach wie vor dort ist. Da wir uns gut kennen, helfen wir uns bei den einen oder anderen Problemen gegenseitig aus.

Hermes: Was hat sich seit der Wende für Sie verändert?

Herr Walther: Viele Dinge sind anders geworden. Ich habe zum Beispiel keine Hilfsassistenten mehr, die wurden alle gestrichen. Dadurch bin ich weniger flexibel. Zum Glück bin ich während meiner gesamten Dienstzeit noch nie krank gewesen. Die Tonanlage geht nun schon auf ein Alter von zwanzig Jahren zu, und da gibt es schon ein paar mehr Probleme.
In diesem Moment fängt der Bildschirm hinter mir an zu flackern. Herr Walther klopft kräftig auf die Verkleidung eines älteren RFT-Monitors, und das Bild ist wieder klar.
Im Zuge der Umstrukturierung der Fakultät bekam auch ich einen Besuch von dem Vorsitzenden der Struktur- und Berufungskomission, Herrn Prof. Krelle. Man hatte vor, alles zu dezentralisieren, sodaß jeder Dozent für die Akustik selbst verantwortlich ist. Dies ist jedoch nicht mäglich, da die Anlage in der Kapelle zum Beispiel sehr kompliziert ist und da gäbe es wohl viele Probleme. So mußte ich den ‚Aufwand‘, den ich hier betreibe, erklären.
Zudem muß ich sagen, daß die Studenten und auch die Dozenten sehr nachlässig geworden sind, was den Umgang mit den Räumen und der Technik anbelangt. Es werden Bananenschalen zwischen die Sitze geklemmt, die Tische und Bänke werden immer mehr vollgeschmiert, so daß auch Spiritus nicht mehr hilft; die Dozenten legen Kreide und Lappen auf die OH-Projektoren, deren Staub dann von den Ventilatoren angezogen wird und das Gerät beschädigt.
Mit den Reinigungskräften gibt es dann schon mal Ärger und die Ersatzbeschaffungen für die Geräte sind sehr teuer. Hier kännte viel Ärger und Geld gespart werden.
Weiterhin hatte ich früher zwischen den Vorlesungen Musik eingespielt. Herr Prof. Plinke hat dies jedoch untersagt mit der Bemerkung, daß wir uns hier nicht in einer Diskothek befänden.

Hermes: Von mehreren Seiten wurde Kritik über die Videokameras an Sie herangetragen...

Herr Walther: Das ist richtig. Seit diese Kameras installiert sind, kommen weniger sehr teure Ausrüstungen wie zum Beispiel Mikrophone weg. Die Kameras haben hauptsächlich eine Sicherheitsfunktion, und dienen der Kommunikation zwischen Tonstudio und Lehrkraft. Selbst wenn ich etwas sehen würde, reagiere ich nicht darauf. Ehrenwort!
Für alle Klausurenschreiber: Herr Walther ist jedes Jahr im August im Urlaub und auf dem Bildschirm kann man, glaube ich, nicht erkennen, ob jemand spickt.

Hermes: Ein großer Streitpunkt ist auch das Rauchverbot vor dem 201...

Herr Walther: Im großen und ganzen halten sich die Studenten aber daran und viele haben es sicherlich auch begrüßt. Ich wäre auch dafür, das Rauchverbot auf das gesamte Haus auszudehnen, da die Luft wirklich sehr schlecht ist. Ich denke, daß auch viele Studenten diese Regelung gut finden würden.

Hermes: Was war Ihre außergewähnlichste Begebenheit in den nunmehr fast 37 Jahren Dienstzeit?

Herr Walther: Oh, da gibt es wohl einige... Zur DDR-Zeit bekam ich aufgrund einer Rede des ersten Sekretärs der SED-Bezirksleitung im HS 201 einen Besuch von der StaSi. Sie ‘bewachten’ während der gesamten Rede meinen Raum und wollten wohl sicherstellen, daß ich nichts unerlaubt mitschneide...

Hermes: Hinter Ihrer Tür hängen viele Fotos, auf denen Sie in vornehmem Anzug auf der Bühne zaubern. Wie sind Sie zur Zauberei gekommen?

Herr Walther: Ich komme ursprünglich aus Weimar. Damals gab es noch viele Schausteller mit einer Varietè-Bühne. Als Junge sollte ich bei einem von ihnen auf die Bühne kommen, nachdem er mir Anweisungen gegeben hatte, wann ich mich wie ‚zufällig‘ aus dem Publikum melden sollte und was ich dann tun sollte. Dabei sah ich die Requisiten. Er verwandelte eine Spielkarte in eine Streichholzschachtel, was ich dann zuhause nachbaute. Er war so verblüfft, daß er sagte: „Junge, aus dir wird mal was“.
Als ich dann später nach Berlin kam, erlernte ich bei einer netten Frau im ‘Zauberkänig’ in Neukälln mein erstes Kunststück. Die Requisiten waren jedoch sehr teuer, sodaß ich kaum Geld dafür ausgeben konnte. Mein Zaubererkreis wurde immer gräßer, und ich hatte die ersten Auftritte, für die ich dann eine Auftrittsgenehmigung brauchte. Ich bestand die Prüfung vor den Fachkollegen mit Bravour. Die Genehmigung galt nur zwei Jahre, man war so gezwungen, sein Programm ständig zu verbessern. Das ist leider heute auch anders. man braucht nur das nätige Kleingeld und die Qualität der Zauberei leidet darunter.
In einer Bar in Friedrichsfelde habe ich dann fünf Jahre im Abendprogramm gezaubert, ich hatte auch viele Auftritte bei Betriebsfeiern, in Ferienlagern, bei Weihnachtsfeiern. Ich veränderte mein Showprogramm oft und hatte auch eine Assistentin und lebende Tiere mit dabei. Einmal zauberte ich auch mit einem Aquarium voller Fische. Wir nannten uns Duo Diwaltini, abgeleitet aus meinem Namen Dietrich Walther.
Heute gibt es viele negative Entwicklungen in der Magie. Im Fernsehen sah ich neulich, wie Zaubertricks ‘gelüftet’ wurden. Oberstes Prinzip unter allen Zauberern ist, nie ihre Kunststücke preiszugeben. Denn dann geht die wunderbare Illusion schlagartig verloren.

Hermes: Verraten Sie Ihrer Frau die Zaubertricks?

Herr Walther: Meine Frau haßt die Zauberei, weil sie alle sieben Trickprinzipien kennt. Sie ist der Meinung, daß ich die Zuschauer hinters Licht führe...

Hermes: Ist die Zauberei Ihr einziges Hobby?

Herr Walther: In meiner Freizeit betreibe ich auch gern Seidenmalerei (Herr Walter zeigt in diesem Moment auf seinen Schlips, den er selbst gestaltet hat) und Encaustik. Das ist eine Wachsmaltechnik.

(Nachdem ich ihn erstaunt anblicke, holt er ein Bild hervor, das er Herrn Prof. Boßmann zum Geburtstag schenken mächte. Darauf abgebildet ist eine Landschaft, bestehend aus kräftigen Farben und feinen Wachsstrukturen.)

Hermes: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Herr Walther: Was die Fakultät betrifft, so wünsche ich mir so schnell wie mäglich eine neue Tontechnik, damit die ewigen Stärungen aufhären, für die ich wirklich nichts kann. Von den Studenten wünsche ich mir mehr Sauberkeit an ihren Arbeitsplätzen Persänlich würde ich später gern in die Berge ziehen, weil dort die Luft viel besser ist als hier in der Stadt. Meine Stimmbänder haben durch die Arbeit in der Bar stark gelitten, nicht zuletzt deshalb ist das Rauchverbot mir sehr willkommen.

An dieser Stelle merke ich, daß die Zeit viel zu schnell vergangen ist und ich längst zur Vorlesung müßte.Ich bedanke mich bei Herrn Walther für das nette Gespräch und daß er sich für mich Zeit genommen hat, werfe noch einen kurzen Blick auf die vielen Fotos in der Tür und gehe zurück in das verrauchte Foyer...

DD