Emissionszertifikate – Ablaßhandel oder Ei des Kolumbus?

Auf der Sommerakademie der Studienstiftung, welche dieses Jahr in La Villa im Herzen der Dolomiten stattfand, beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe aus 16 Studenten unterschiedlichster Fachrichtungen mit dem Themenfeld der nachhaltigen Entwicklung. Der folgende Artikel zur Einführung des Handels mit Emissionszertifikaten von Gregor Betz enstammt dem Thesenpapier dieser Problematik.
Das Errichten eines weltweiten Zertifi-katesystems wird in den Thesen mehrmals vorgeschlagen. Aber wie genau funktioniert ein Zertifikatsystem? Was sind die Vor- und Nachteile einer solchen Lösung?
Ein naheliegender Weg, um die weltweite Reduktion von CO2 herbeizuführen, ist, den Ländern verbindliche Reduktionspflichten aufzuerlegen. Das Zertifikatsystem stellt hierzu eine Alternative dar: Stattdessen werden den Ländern Ver-schmutzungslizenzen ausgestellt. Anstatt beispielsweise Schmutzland, das jährlich 20 Einheiten CO2 in die Athmosphäre bläst, eine Reduktionspflicht von 20% aufzuerlegen, kann man ihm ja genauso das Recht zur Emission von 16 Einheiten CO2 (=20-20% von 20) geben. Der Unterschied zu den herkömmlichen Reduktionspflichten liegt nun darin, daß die ausgestellten Emissionsrechte zwischen den Ländern gehandelt werden können.

Effizienz

Häufig wird angeführt, daß das Modell der handelbaren Emissionszertifikate einen effizienten Klimaschutz sicherstellt. Was meint man damit? Ein Fallbeispiel wird das erläutern: Schmutzland stößt jährlich 20 Einheiten und Sauberland jährlich 15 Einheiten CO2 aus. Was bringt der Versuch, die CO2-Emissionen durch Reduktionsverpflichtungen von 20% zu reduzieren? Schmutzland muß seine Emissionen um 4 Einheiten, Sauberland um 3 Einheiten reduzieren. Da Sauberland aber bereits eine wesentlich bessere Technologie besitzt als Schmutzland, ist das Vermeiden der letzten Einheit für Sauberland viel teurer, als das Vermeiden einer weiteren CO2-Emission für Schmutzland! Durch geschickte Umverteilung der Reduktionen hätte man also die gleiche Gesamtreduktion von 7 Einheiten mit weniger Gesamtkosten erreichen können.
Genau dies – angestrebte CO2-Reduktion zum geringstmöglichen Preis- ermöglicht das Modell der handelbaren Emissionszertifikate. Warum? Zurück zum Fallbeispiel: Schmutzland bekommt Emissionszertifikate in Höhe von 16 Einheiten und Sauberland in Höhe von 12 ausgestellt. Schmutzland müßte seine Emissionen also wiederum um 4, Sauberland um 3 Einheiten reduzieren. Da es für Schmutzland aber billiger ist, eine weitere Einheit CO2-Emission zu vermeiden, als die Vermeidung der letzten Einheit CO2-Emission Sauberland kostet, wird Sauberland Schmutzland ein Emissionszertifikat abkaufen. D.h. Sauberland darf dann 13 Einheiten, Schmutzland nur noch 15 Einheiten CO2 ausstoßen.
Sauberland wird so lange Emissionszertifikate ankaufen wollen, wie der Preis eines Zertifikats geringer ist, als die Kosten zur Vermeidung einer weiteren Einheit CO2. Umgekehrt wird Schmutzland solange Emissionszertifikate verkaufen wollen, wie für ein Zertifikat mehr bezahlt wird, als die Vermeidung einer weiteren Einheit CO2 Schmutzland kostet. Dieser Marktmechanismus führt letztlich dazu, daß die zuletzt reduzierte Einheit CO2-Emission in Sauberland genauso viel kostet wie in Schmutzland. Denn nur dann besteht kein Interesse mehr, die Zertifikate zu handeln. Keine andere mögliche Verteilung von Reduktionspflichten wäre kostengünstiger. Genau das bedeutet Effizienz: Die handelbaren Emissionszertifikate sorgen dafür, daß ein angestrebtes Emissionsziel zum geringstmöglichen Preis erzielt wird.

Kritische Bedenken

Manche Leute assoziieren mit den handelbaren Emissionszertifikaten eher so etwas wie Ablaßhandel. „Die reichen Länder kaufen sich doch einfach von ihren Reduktionspflichten frei“, heißt es dann. Nun, die „reichen Länder“ kaufen sich auch nur solange von den Reduktionspflichten frei, wie es für sie günstiger ist, als CO2-Emissionen zu vermeiden. Was diese Länder aber an Lizenzen aufkaufen, müssen andere Länder weniger an CO2 emittieren, so daß die Gesamtemissionen durch die Summe der ausgestellten Emissionsrechte beschränkt ist.
Dennoch ist die kritische Einstellung gegenüber dem Zertifikatmodell berechtigt. Würde in die bestehenden Klimakon-ventionen einfach der Emissionsrechte-Handel eingebaut, so könnte das in der Tat kontraproduktive Folgen haben. Warum? Entsprechend den derzeitigen Vereinbarungen hat Rußland – aufgrund des Zusammenbruchs seiner Wirtschaft nach 1990 – einen Verschmutzungsrecht-Bonus, der größer als die gesamten Reduktionspflichten der Amerikaner und Europäer zusammen ist. Die Industrienationen könnten nach Einführung eines Zertifikate-Handels Rußlands Emissionsrechte aufkaufen, ohne daß Rußland weniger CO2 ausstoßen müßte. Der globale CO2 -Ausstoß würde ansteigen.

Umsetzung in der Praxis

Sollte man also doch lieber die Finger von dem Zertifikate-Handel lassen? Hört er sich in der Wirtschaftstheorie ganz schön an, ist aber in der Praxis etwa nicht zu gebrauchen? Nein. Unsere Überlegungen unterstreichen nur, daß im Zertifikat-Modell der Höhe der ausgestellten Emissionszertifikate eine entscheidende Bedeutug zukommt. Entsprechend der derzeitigen Konvention sind die erlaubten Emissionen zu hoch. Gelingt es uns, uns auf einen Höchstwert X weltweiter CO2-Emissionen zu einigen, den unsere Atmosphäre verträgt, dann kann das Zertifikatsystem sicherstellen, daß dieser Höchstwert nicht überschritten wird: In einem Zeitraum von z.B. zehn Jahren werden die ausgestellten Zertifikate ausgehend vom status quo verringert, so daß deren Summe am Ende dieses Zeitraums dem Wert X entspricht. Die Länder können dann soviel mit den Emissionsrechten handeln, wie sie wollen. Die Gesamtemissionen werden den Wert X logischerweise nicht überschreiten.
Auch wenn das Modell der handelbaren Emissionszertifikate unter den derzeitigen Reduktionsvereinbarungen kontraproduktiv für die Reduzierung der weltweiten CO2-Emissionen zu sein scheint – packt man es richtig an, z.B. durch Verringerung der ausgestellten Zertifikate, so ist es doch ein sinnvoller Weg zum weltweiten Klimaschutz. Was wie ein Schritt zurück aussieht, ist in Wirklichkeit in Schritt nach vorn, in eine glorreiche Zukunft, mit Frieden und Liebe auf Erden und allen ein Wohlbefinden.
Natürlich tun sich weitere Fragen auf. Wie groß ist der Höchstwert X an Emissionen, den unsere Atmosphäre verträgt? Wie sollen die gesamten Emissionszertifikate auf die Länder verteilt werden (z.B. pro Kopf)? Sollte das Geld, das Länder durch Handel mit Zertifikaten einnehmen, an bestimmte Ausgaben (z.B. Bildung, Umweltschutz) gebunden sein? All diese Fragen bedürfen weiterer öffentlicher Diskussion, wissenschaftlicher Erörterung, und letzlich einvernehmlicher, politischer Antworten.

AS und GW