Die Virtuelle Fakultät v.2.0

Multimedia macht nun auch vor den heiligen Hallen unserer Fakultät nicht mehr halt. Wobei anzumerken wäre, daß die Wurzeln der Multimedia-Fähigkeit schon tiefer in die Vergangenheit reichen, als es der Begriff nahelegt. So wird dem geneigten Betrachter in den großen Seminarräumen sicherlich die eine oder andere Kamera aufgefallen sein. Schon in früherer Zeit, als im StuRa-Turm noch die Stasi Spitzengespräche durchführte, nutzten die Hochschullehrer offensichtlich die Möglichkeit, ihre Vorlesungen auch über den Kreis ihrer Studenten hinaus zu verbreiten. Nun knüpfen auch die neuen Herren der Fakultät an diese Wurzeln an, die WiWi-Fakultät wird zur virtuellen Fakultät, genauer gesagt, Satellitenfakultät. Alle auf neue Lehrstühle berufenen Professoren werden ihre Büros in der Ziegelstraße vorfinden. Ein kleiner Schritt für die Menschheit (wenn man überlegt, daß sich die Erde dutzende Kilometer pro Sekunde bewegt), eine ganze Menge Schritte für die Studis.

Aber wer braucht im Multimedia-Zeitalter schon Bewegung?

transfer interrupted... es sei denn zum örtlichen Junk-Food-Dealer, wenn doch eh alles virtuell läuft (kleines Wortspiel). Man wird sich als Student bald vor Wandtafeln oder Webseiten wiederfinden, auf denen dann steht: Prof. XYZ, Sprechstunde n.V. In früheren Zeiten wäre jedem Studenten dabei eingefallen: „Sprechstunde nicht vorgesehen“, dem neuen homo oeconomicus electronensis wird dabei jedoch gleich klar: „Sprechstunde nur virtuell“. In der Praxis wird der Student also die Internetseite des Profs aufrufen, sein virtuelles Abbild aktivieren und seine Fragen stellen. Daraufhin wird irgend ein HiWi am anderen Ende der Leitung zu den Lippenbewegungen des Abbildes irgend etwas stammeln wie: „Das ist doch einfach, lesen sie noch einmal im Buch nach Krrnp ggrrepp piiieeep, transfer interrupted“.

Nun ja, aber wird es auch weiterhin echte Vorlesungen geben?

Natürlich, wozu hätte man sonst Geld für die Renovierung der Kellerräume ausgegeben. Wie wir alle wissen, dürfen aufgrund rechtlicher Vorschriften keine Büros im Keller eingerichtet werden. Vorlesungen dürfen dort allerdings stattfinden. Jedoch sollte man sich von seiner Vorstellung von Vorlesungen verabschieden, wobei ein Professor (wahrscheinlicher: Assistent) vorne steht und eine Vorlesung hält. Schließlich werden immer mehr Räume mit Video-Beamern ausgerüstet sein und eine Übertragung von Bandaufzeichnungen der Vorlesung ermöglichen („Statistikvorlesung 3.2? Nee, da gehe ich nicht hin, habe ich mir letztes Semester schon als Raubkopie organisiert. Die muß man zwar alle zwei Monate neu installieren, aber das ist mir egal.“). Als aufmerksame Leser werdet ihr nun natürlich fragen, was mit den ganzen Räumen oberhalb des Kellers passiert? Nun, dort werden überall Büros eingerichtet. Dies ist nur die logische Konsequenz der bisherigen Entwicklung. Als ich an dieser Fakultät anfing zu studieren, also eigentlich nicht an dieser Fakultät, weil die erst 1993 gegründet wurde (ich frage mich bis heute, wo ich damals eigentlich studiert habe), gab es in den Seitenflügeln im ersten und zweiten Stock noch Seminarräume, heute sind dort fast nur noch Büros. Es ist also nur konsequent, anzunehmen, daß sich die Expansion der Büros in der Fakultät fortsetzt. Moment, wozu braucht man denn noch Büros im Zeitalter von Multimedia? Die Antwort liegt auf der Hand. Wo, wenn nicht im Büro der Universität, ist es möglich, kostenlos im Internet zu surfen, seine Bekannten in den US of A anzurufen, Doom XXIII gegen die Mannschaft des gegnerischen Instituts zu spielen oder das Mensaessen aus dem Replikator zu genießen?

Doch nun genug der Miesmacherei, auch ich kann der virtuellen Universität positive Seiten abgewinnen. In einer Multimedia-Universität wird nämlich das Prüfungsamt endlich ein Computerprogramm haben, das funktioniert und mehr Funktionen hat als meine Datenbank unter DOS 3.2. Ich werde mich von zu Hause auch außerhalb der sechs Stunden umfassenden Sprechstunde anmelden können und nicht ständig Fristen versäumen und meine Klausurergebnisse live und direkt zugeschickt bekommen. Und wenn die Vorlesung sowieso als Video vorliegt, muß ich nicht mehr morgens um 10°° Uhr zu einer Veranstaltung hetzen, sondern kann mir genüßlich zu hause bei einer Schüssel Erdnüsse die wichtigen Teile angucken und bei den langweiligen Stellen (Theorie etc.) vorspulen.

Nicht unbeachtet darf in heutigen Zeiten steigender Kriminalität bleiben, daß im Rahmen der Virtualisierung der Fakultät die Quote der Verbrecher rapide zurückgehen wird. Durch die überall montierten Videokameras und Bewegungsmelder wird kein Student mehr nach 20:30 Uhr in der Fakultät sein können, ohne wegen Hausfriedensbruchs angezeigt zu werden (Das Schild am Eingang kennt wahrscheinlich inzwischen jeder. Wieso die Fakultät überhaupt abgeschlossen wird, ist mir allerdings ein Rätsel. Die rechte Tür hat außen keine Klinke, so daß Leute hinaus aber nicht hinein können. Vielleicht hat man Angst, daß die Studis, wenn Sie länger in der Fakultät sind, noch mehr dreckig machen).

An den ehernen Gesetzen der Fakultät wird aber auch die Virtualisierung nichts ändern können: In BWL werden immer mindestens sechzig Prozent durchfallen.

Diet Mar