Wohnen in der Platte oder Ein Schweizer in Lichtenberg

Die U-Bahnstation heißt vielversprechend "Tierpark". Aber die Realität hält ja nie das, was vielsagende Namen versprechen. Große graue Zehngeschosser begleiteten uns auf dem Weg zur Endredaktionssitzung. Wir betreten den Fahrstuhl im Hauseingang eines Neubaublockes und ...begegnen einem Schweizer Kommilitonen. Was verschlägt einen Schweizer VWL Studenten in ein Lichtenberger Plattenbaugebiet?! Grund genug, mal nachzufragen...

Hermes: Lieber Manuel, wie bist du aus Schaffhausen in der Schweiz in den 9. Stock eines Lichtenberger Wohnheimes gelangt?
Manuel: Mhhmmm. Ich war schon ein paar mal als Tourist in Berlin. Es hat mir hier gut gefallen, ich fand die Stadt interessant und spannend. Dann habe ich die Humboldt-Uni auf der Erasmus-Liste entdeckt und ich entschloss mich spontan, für ein Semester nach Berlin zu kommen.

Hermes: Hattest Du Dir das Lichtenberger Wohnheim ausgesucht?
Manuel: Die Wohnungssuche mußte sehr schnell gehen... So bin ich von der Wohnheimverwaltung hierher vermittelt worden. Ein erster Blick auf den Berliner Stadtplan verhieß nichts Gutes: situiert im Planquadrat u 10 war meine erste Reaktion, die Stationen zum Alex zu zählen. Plattenbausiedlung? Oh jee.

Hermes: Wie war dein erster Eindruck?
Manuel: An dem Morgen meiner Ankunft regnete es in Strömen. Der Fahrstuhl war defekt, das Zimmer war im 9.Stock. Gähnende Leere empfing mich. So ging ich runter auf die Straße und fragte einen Passanten nach einem Möbelmarkt. "Hier? Nee, da mußte in den Wedding!" So fuhr ich mit der U-bahn dorthin und versuchte dann krampfhaft, eine Jalousie, einen Teppich und eine Lampe mit zwei Händen zurück nach Lichtenberg zu transportieren.

Hermes: Wie wurdest du als VWL'ler von unserer Fakultät aufgenommen?
Manuel: Die Aufnahme ausländischer Studierender klappt eigentlich ganz gut. Die Einführungsfeier war herzlich gestaltet und auch sonst scheint hier eine ganze Menge für uns getan zu werden.

Hermes: Bekamst du schnell Kontakt zu der hiesigen Studentengemeinschaft?
Manuel: Eigentlich geht das alles recht schnell. Als deutschsprachiger Ausländer gibt es ja auch kein Sprachproblem. Gerade mit ausländischen Kommilitonen und anderen Neu-Berlinern fällt es recht einfach, in Kontakt zu treten.

Hermes: Was sind die Unterschiede zum VWL-Studium in Zürich?
Manuel: Neu für mich ist das Credit-Point-System, wo man am Ende des Semesters eine Diplomklausur zum jeweiligen Fach schreibt. In der Schweiz gibt es nur so eine Art Gesamtprüfung über mehrere Semster. In der fachlichen Ausrichtung gibt es nur kleine Unterschiede. Auch der Umfang der Fächer ist ähnlich.

Hermes: Und wie nennt sich ein fertiger Diplomvolkswirt im Schweizer Deutsch?
Manuel: In der Schweiz heißt man nach Abschluß des Studiums nicht Diplomvolkswirt sondern lic. oec. publ. oder lic. rer. pol. .

Hermes: Gibt es eine Eigenschaft, die dir an den Berlinern aufgefallen ist?
Manuel: Sie sind alle relativ kurz angebunden, was ich am Anfang noch für Unhöflichkeit gehalten habe.

Hermes: Und wie wirkt Berlin auf Dich?
Manuel: Die Stadt ist groooooossssss, das kulturelle Angebot riesig, was einen meiner Hauptgründe darstellte, hierherzukommen.

Hermes: Wenn Du jetzt nochmal von der Entscheidung stehen würdest...
Manuel: ...würde ich wieder hierherkommen! Nun, vielleicht nicht in ein Lichtenberger Wohnheim, aber ganz bestimmt wieder nach Berlin.