!Pura Vida!

!Pura Vida! Costa Rica, ein kleines Land in Mittelamerika, ist berühmt als exotisches Reiseziel mit vielen Nationalparks und Reservaten. In der Tat sind gut ein Viertel der Landesfläche als Schutzgebiete deklariert: Vulkane, Regenwälder, Strände. Menschen aus aller Welt kommen hierher, um durch den Urwald zu wandern, glühende Lava zu sehen, Schildkröten und Vögel zu beobachten und vieles mehr.

Andere kommen nach Costa Rica, um Spanisch zu lernen oder in diversen Projekten zu arbeiten.

Ich bin einer von denen, die nicht primär als Touristen kamen. Zusammen mit 23 weiteren Studenten nehme ich am Semesterprogramm von ICADS (Institute for Central American Development Studies) in San José teil. Das Programm beginnt mit einem Monat Sprachunterricht, der, ergänzt durch Kurse zur Landeskunde, die Studenten auf den Hauptbestandteil des Semesters, ein achtwöchiges Praktikum in einer lokalen non-profit Organisation in Costa Rica, Nicaragua oder Belize, vorbereiten soll.

Knapp 90 Praktika standen uns im September in allen nur denkbaren sozialen, ökologischen und humanitären Bereichen zur Auswahl. Die Palette reichte von einem Schildkrötenbeobachtungsprojekt und Regenwaldstudien in Costa Rica über Arbeit in Kinderzentren in Nicaragua bis zu einem Praktikum in einem maritimen Reservat in Belize. Da ich letztgenanntes Land, wenn auch verführerisch durch seine vielen Strände, als Mogeln in Bezug aufs Spanischlernen empfand, und die ICADS-Schüler in Nicaragua auf Grund der gegenwärtigen Sicherheitsrisiken nicht im Land reisen dürfen, blieb ich jedoch in Costa Rica.

Auch hier war die Entscheidung bezüglich der Region recht einfach, da ich mein Praktikum möglichst nah an meinem Studium wollte und alle Organisationen, die irgendetwas mit wirtschaftlicher Entwicklung zu tun haben, in San Josè ihren Sitz haben. Die Stadt und das "Zentrale Tal", in dem sie liegt, beherbergt 60% der knapp vier Millionen Einwohner Costa Ricas. Es ist die Hauptwirtschaftsregion des Landes mit Dependancen vieler internationaler Unternehmen.

In San Josè begann ich Anfang Oktober mein Praktikum bei ACORDE (Asociación Costarricense para Organizaciones de Desarrollo), einer kleinen, privaten und gemeinnützigen Organisation, die Kredite an Klein- und Mikrounternehmen vergibt. Ich sprach zu der Zeit noch wenig Spanisch und musste mich als erstes mit dem Wirtschaftsvokabular vertraut machen. Mein Aufgabenbereich war generell sehr flexibel und reichte von häufigen Firmenbesuchen, Datenanalysen bis hin zu den typischen Praktikantenaufgaben, die sich international wohl kaum unterscheiden.

Erstaunlich war für mich, mit welchem Talent und welcher Energie sich die Costaricaner durchs Leben wursteln und wie hart sie bereit sind, dafür zu arbeiten. Die Kleinunternehmen, die ich im Laufe meines Praktikums kennenlernte, waren fast alle einfache Leute, die sich von Ein-Mann-Betrieben zu kleinen, aber stabilen Firmen mit einigen Angestellten entwickelt haben. Da war zum Beispiel eine Eiswürfelfabrik. Das Wort "Fabrik" ist bereits Übertreibung, denn es war lediglich ein Gerüst aus Stahlträgern und einem Dach. Jedenfalls befanden sich unter selbigem ca. 30 uralte amerikanische Eismaschinen, die, rostend und knatternd, Kühlflüssigkeit überall tropfend, sorgsam übereinandermontiert einen Strom Eiswürfel produzierten, welche im Untergeschoß von zwei Arbeitern den ganzen Tag lang eingetütet wurden. Der Inhaber, der außerdem alte Hoteleismaschinen wieder flott machte, bat nun um einen Investitionskredit für eine große, neue und sparsamere Eismaschine. Nach erfolgreicher Prüfung seiner Firma erhielt er ihn nach weniger als zwei Wochen.

Nach etwa der Hälfte meines Praktikums besuchte ich eine Käsefabrik, um eine Studie für ACORDE anzufertigen. Der Inhaber der Firma, einer von etwa einer Million Nicaraguaner, die in Costa Rica leben, zeigte und erklärte mir bereitwillig alle Aspekte seines Geschäfts. Auch er hatte sich, noch dazu als Flüchtling vor dem kommunistischen Regime in Managua, innerhalb von 15 Jahren langsam emporgearbeitet und beschäftigte nun 13 Mitarbeiter. Das "ärgerliche" an der Käsefirma war, daß sie so gut geführt war, daß sich mir nicht viele Möglichkeiten für Verbesserungsvorschläge boten. Es gab, für Firmen dieser Art in Costa Rica völlig unüblich, diverse Arbeitschutzbroschüren für die Mitarbeiter, ein aktives Produktivitätsmanagement und Gehälter, die deutlich über den Mindestlöhnen lagen.

Trotz der entspannten Gespräche und der vielen Parties im Laufe meiner Zeit bei ACORDE, war ich doch beeindruckt und geschockt zugleich, wieviel einige meiner Kollegen täglich arbeiteten und daß sie sogar am Wochenende in die Firma kamen, um Nichtgeschafftes zu erledigen. Andere wiederum studierten UND arbeiteten 40 Stunden. Mit einem etwas müden Lächeln berichteten mir gleich vier meiner Kollegen, alle Anfang zwanzig, daß sie drei- oder viermal wöchentlich von sechs bis neun abends zur Uni gehen. Als ich einige der Goodies in der Heimat erwähnte, von sechs Wochen Urlaub und vollbezahltem Krankfeiern erzählte, erntete ich neben staunenden Gesichtern auch eine Menge Kopfschütteln.

Die Menschen sind dennoch immer fröhlich und zufrieden "alles ist ¡pura vida!", cool zu Deutsch bzw. Englisch. Es geht ihnen ja im Vergleich mit den Nachbarländern auch am besten. Sie sind unglaublich stolz auf ihr kleines Land, das keine Armee besitzt und deshalb deutlich mehr in Bildung investiert als andere Entwicklungsländer. Wohl zu viel, denn das Goethe-Institut in San Josè soll demnächst geschlossen werden. Der Grund: die deutsche Regierung, so hörte ich, klassifiziert Costa Rica nicht mehr als Dritte-Welt-Land.

Dem Traveler sei Costa Rica durchaus empfohlen, wenn auch das Label "Öko-tourismus" häufig nicht mit den Erwartungen übereinstimmt. Tourismus ist Tourismus, und "Öko" macht Costa Rica zu einem der teuersten Urlaubsländer unter den Entwicklungsländern. Daran sind vielleicht ebenso die Massen an Amerikanern nicht ganz unschuldig, da viele von ihnen selbst in der tiefsten Provinz feine Lokale und warme Duschen erwarten. Mit einem bisschen Anstrengung kann man aber auch als Budget-Traveler überleben. Es gibt dutzende genialer Strände, einige aktive Vulkane, heiße Quellen und natürlich viele Regenwälder. Die beste Reisezeit ist Mitte November bis Mai.

Mehr Infos über ICADS: icads@netbox.com
ACORDE im Internet: www.acorde.or.cr