Oh Frankfurt, mein Frankfurt

...geplagte Stadt an der östlichsten Grenze des Ostens, kaum wahrgenommen an der Oder verloren, als Provinzstadt verhöhnt und nur aus der Negativpresse bekannt. So versuche wenigstens ich mein Loblied auf Dich zu singen. Denn Du, mein Frankfurt bist auch eine besondere Stadt. Weißt Du nicht, daß es sie nur hier gibt, die Europa-Universität, die den waghalsigen Versuch startet, eine Brücke zwischen Ost- und Westeuropa zu schlagen. Waghalsig? Komm, Frankfurt, schauen wir sie uns an, diese Deine Universität.

In den Jahren 1506 bis 1811 gab es schon einmal die alte Alma mater Viadrina, die erste brandenburgische Universität. Juristen, Theologen, Philosophen und Mediziner versuchten hier ihr Glück. Selbst namhafte Berühmtheiten wie die Gebrüder von Humboldt (!) oder Heinrich von Kleist gaben der Viadrina ihre Ehre. Und weil Kleist in Frankfurt an der Oder geboren wurde, ist die Stadt Anfang August 1999 auch zur Kleist-Stadt getauft worden. Leider mußte die Alma mater 1811 ihre Türen schließen, da 1810 in Berlin eine Universität eröffnete, die heute den Namen Humboldt trägt.

Am 15.07.1991 wurde die Viadrina (übrigens lat. an der Oder) zeitgleich mit den beiden anderen brandenburgischen Universitäten in Cottbus und Potsdam neu gegründet, um ein Jahr später mit dem ersten akademischen Jahr eine hoffnungsvolle Zukunft vor Augen zu haben. Daß die Europa-Universität an der Grenze zu Polen liegt ist nicht nur ein idealer Standpunkt, um eine Brücke in den Osten zu schlagen, sondern auch ein Symbol für die interdisziplinär ausgelegten Fachrichtungen. Komm, Frankfurt, laß uns den wissenshungrigen Studenten in Berlin ein wenig mehr erklären.

Rund 3000 Studenten gibt die Viadrina die Möglichkeit, ihren Horizont zu erweitern. Etwa 40% sind Ausländer, der größte Teil besteht aus polnischen Kommilitonen. Somit ist auch den östlichen Nachbarn der Zugang für ein Europa von morgen" gegeben, den die Universität erreichen will. Die Zusammenarbeit mit Polen besteht weiterhin darin, daß in Slubice das 1998 errichtete Wissens- und Forschungszentrum Collegium Polonicum errichtet wurde. Slubice ist die Nachbarstadt, jenseits der Oder gelegen und wer jetzt denkt, nach Frankfurt hört das Leben auf, den muß ich enttäuschen. Nicht wahr, mein kleines häßliches Städtchen?

Die Studenten, die entweder aufgrund ihrer polnischen Staatszugehörigkeit oder diejenigen Deutschen, die durch List und Tricks, die ich bis heute leider noch nicht durchschaut habe, einen Platz in den Slubicer Wohnheimen ergattert haben, genießen ihr Studileben aufs äußerste. Die Polen haben es nämlich geschafft, Parties als Parties zu feiern und nebenbei auch noch die Besseren und Fleißigeren der Uni zu sein. Und da sag mir einer noch mal, die Deutschen seien fleißig!

Natürlich gibt es auch auf deutscher Seite Wohnheime. Einige sind mit demselben Wunder der Modernität ausgestattet wie die Schwestern in Slubice, die anderen - na gut, reden wir nicht drüber. Jaja, Frankfurt, einige Verbesserungen sind noch nötig.

Da die Viadrina recht klein und noch so jung ist, wurde sie von Anfang an mit modernster Technik ausgestattet. Es gibt mehrere CIP-Pools, die im Semester eine magnetische Anziehungskraft auf die Studenten ausüben, Sprachlabors, die das Erlernen von Fremdsprachen erheblich erleichtern sollen und eine wunderschöne Bibliothek - überschaubar, ausgestattet mit einer großen Anzahl von Büchern, Treffpunkt von Studies sowie geeigneter Schlafplatz derselben. Außerdem wünschen sich die Dozenten und Studenten stets einen wunderschönen Tag, denn als Student an der Viadrina ist es ein leichtes, den Profs ein bekanntes Gesicht zu sein. Die Dozenten müssen sich eben nicht so viel merken!

Wer sich von der als vielerorts so grauenhaft beschriebenen Stadt Frankfurt nicht abschrecken und sich eher von der Idee des Europas von morgen begeistern läßt, der kann zwischen drei Fakultäten wählen: Rechtswissenschaften, Kulturwissenschaften und, wie sollte es auch anders sein, Wirtschaftswissenschaften. Alle drei Studienrichtungen sind interdisziplinär angelegt. Die Kulturwissenschaften versuchen auf neuartige Weise Geistes- und Sozialwissenschaften zusammenzufügen. Dabei werden Probleme, wie die Grenzen traditioneller Disziplinen oder die Umbruchs- und Transformationsprozesse in Osteuropa betrachtet. Dazu kommt eine umfangreiche Fremdsprachenausbildung, die allerdings noch einiger Veränderungen bedarf. Um sein Vordiplom und den Abschluß erfolgreich zu bestehen, darf der eifrige Student ebenfalls einige Veranstaltungen der Nachbarfakultät besuchen. Damit der Kulturmanager von morgen auch die betriebs- oder rechtswissenschaftlichen Grundlagen beherrscht.

Die Juristen und BWLer widmen sich einigen kulturwissenschaftliche Vorlesungen, daß sie in der Lage sind, die rechtswissen-schaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Grundlagen aus dem Verständnis der sozialen oder kulturellen Hintergründen heraus zu betrachten. Das wirtschaftswissenschaftliche Studium teilt sich in die VWL und die BWL. Das Grundstudium ist das gleiche, danach muß Student sich entscheiden. Und wer noch klüger ist und noch höher hinaus will, der entschließt sich für die Internationalen Betriebswirtschaften, um mit der zusätzlichen Ausbildung von zwei Fremdsprachen endlich genügend Lernstoff zu erhalten. Wem jedoch die ganzen Studienrichtungen nur Kinderkram sind, wer sich dem allgemeinen Bild des faulen, ahnungslosen Studenten nicht anpassen und wirklich sehr hoch hinaus möchte, der kann seit dem Wintersemester 1999 International Buisness Administration (IBA) studieren. Die Vorlesungen werden auf Englisch gehalten und die Klasse besteht aus ca. 13 Studenten aus vielen Teilen Europas. Nach drei Jahren intensivstem Studium erhält der Superstudent seinen Abschluß als "Bachelor of International Buisness Administration (BBA)". Wem der Titel immer noch nicht ausreicht, darf zwei Jahre weiterstudieren und den "Masters-degree in International Buisness Administration (MBA)" verliehen bekommen.

Siehst Du Frankfurt? Ein bißchen hast Du doch schon zu bieten. Was wolltest Du fragen? Warum sich sowenig Studenten um Dich kümmern? Nun, mein Frankfurt, vielleicht haben sie einfach noch nicht begriffen, daß sich ihnen hier Möglichkeiten bieten, da es einige Sachen auf Gottes Erden gibt, die es hier nicht gibt, oder die der Mitarbeit der Studenten bedarf. Viele von ihnen auf deutscher Seite bleiben abends in ihren Kämmerlein, jammern, daß nichts los sei und jammern wieder, wenn der Studentenclub kurz vor der Schließung steht, in den sie trotzdem nicht gehen. Das ist Dein trauriges, aber wirkliches Phänomen, Frankfurt. Ich weiß, Du bietest Kultur und es gibt auch Studenten, die sich dafür einsetzen. Es ist nur so schwierig, daß sie auch angenommen wird.

Ein ähnliches Problem herrscht zwischen den deutschen und polnischen Kommilitonen. Man grüßt sich freundlich auf den Fluren und hat auch auf den wenigen großen Parties sehr viel Spaß miteinander. Doch das war es auch schon. Kaum ein Frankfurter geht über die Grenze, um das Slubicer Nachtleben zu genießen und umgekehrt. Und es gibt nur wenige deutsch-polnische Freundschaften. Warum? Eine Antwort zu geben ist schwer. Die einzige vielleicht, daß die Uni noch so jung ist, im Gegensatz zu anderen Unistädten fast noch ein Baby. Und eine Unistadt muß erst wachsen. Und auch eine Freundschaft zwischen zwei unterschiedlichen Nationalitäten muß manchmal erst wachsen. Vielleicht, irgendwann einmal...Komm, Frankfurt an der Oder, laß uns träumen ...

KV & SS