Persönlichkeitsentwicklung

Eine Anregung zum Umdenken

Unsere Fakultät hat das ehrgeizige Ziel, einmal eine anerkannte und weltweit geschätzte Fakultät zu werden. Aber erreicht sie dies wirklich dadurch, daß sie sich auf ihre Forschung, die Methodenlehre und das Aussieben im Grundstudium beschränkt? Ist man wirklich ein guter Wirtschaftswissenschaftler, weil man mathematische Formeln versteht und Maximierungsaufgaben lösen kann?

Ich denke, es gehört mehr dazu. Die Universität sollte keine reinen Fachexperten aus dem Studium entlassen, sondern Wirtschaftler, die neben aller fachlichen Kompetenz über ein hohes Maß an Auffassungsgabe, Persönlichkeit, Diskussionsfähigkeit und eigener Meinung verfügen. Auch soziales Bewußtsein, Wirtschaftsethik und kritische Betrachtung der heutigen Wirtschaft dürfen nicht vernachlässigt werden.

Meiner Meinung nach sollte sich die Einstellung vieler an unserer Fakultät in dieser Hinsicht ändern und es sollten neue Ziele gesteckt werden. Es darf nicht ausschließlich darum gehen, uns Studenten mit Wissen vollzustopfen, sondern uns so auszubilden, dass wir auch nach der Uni im Sinne der Wissenschaft handeln können. Dann geht es nicht mehr darum, Klausuraufgaben zu lösen. Es muß sich mit Problemen auseinander gesetzt, Zusammenhänge erkannt und Lösungen gefunden werden.

Volkswirtschaftler sollten nicht nur ihre Formeln optimieren können, sondern gesellschaftsverantwortlich handeln und die Ergebnisse richtig interpretieren. Eine Lösung kann noch so optimal sein, sie verliert ihren Sinn, wenn sie nicht richtig verstanden und übertragen wird. Die Volkswirtschaftslehre an unserer Fakultät birgt die Gefahr in sich, eine rein quantitative Wissenschaft zu werden. Die VWL ist aber eine Sozialwissenschaft, und auch heute noch kann keine Wirtschaft ohne ihre Gesellschaft existieren. Zur Ausbildung gehört daher der Umgang mit der Politik und Gesellschaft und eine Auseinandersetzung mit der Wirtschaft. Ein angehender Wirtschaftler muß seine Werkzeuge beherrschen, doch vor allem muß er lernen, wie er sie richtig einsetzt.

Weitere Tutorien, Diskussionsrunden mit Professoren, eine Einbindung oder zumindest Annäherung an die aktuelle Forschung, mehr Eigenverantwortung bei der Fächerwahl und eine erhöhte Vielfalt an Meinungen könnten die Qualität der Lehre enorm steigern. Dies könnte dadurch erreicht werden, daß den Studenten didaktisch aufbereitet die Inhalte verständlich erklärt werden, sie motiviert werden, sich über die Klausur hinaus mit den Themen zu beschäftigen, und dass sie Zusammenhänge erkennen lässt. Bereits im Grundstudium sollte dem Studenten eine gewisse Portion Eigenverantwortung eingeräumt und verstärkt interdisziplinär studiert werden. Auch im Grundstudium sehen sich viele Studenten in der Lage, selbst zu wissen, ob sie internationale Finanzpolitik oder Wirtschaftstheorien studieren oder den "derivativen Geschäftswert" errechnen können sollten. Jeder Dozent hält im Grundstudium sein Lehrgebiet für unersetzbar. Statt aber auf die wirklichen Interessen der Studierenden (die bei VWL-Studierenden nicht immer aus Aufwand-Nutzen-Maximierung bestehen müssen) einzugehen und diese zu fördern, werden alle vorgegebenen Fächer mit mehr oder weniger sinnvollen Klausuren überprüft und dem Studenten anschliessend eine in meinen Augen fragliche "wissenschaftliche" Befähigung erteilt.

Vieles, was ich in meinem Grundstudium gerade an betriebswirtschaftlichen Handwerk gelernt habe, werde ich niemals oder nur äußerst selten gebrauchen können, wichtige Aspekte der Wirtschaftstheorie oder der Wirtschaftspolitik aber habe ich hier nicht gelernt.

Auch wenn ich mich in diesem Artikel hauptsächlich auf die Volkswirtschaftslehre beziehe, betrifft dies in vieler Hinsicht auch (in einigen Punkten vielleicht sogar verstärkt) die Betriebswirtschaftslehre.
Ich bin mir über die verschiedenen Auffassungen von "Wirtschaftswissenschaft und Studium" bewusst, möchte aber gerade daher die Diskussion anregen. Hat unsere Fakultät den richtigen Weg eingeschlagen, oder sollte sie, so schwer dies sei, in mancher Hinsicht umdenken?

sh
stefan.hochhuth@gmx.de