Leute, fahrt Bahn!

Als meine ständige Fahrtbegleiterin andere Wege einschlug, dachte ich, ich würde mich während der langen Bahnfahrten sehr langweilen. Doch wie ich zu meiner Freude feststellen musste, ist immer für Abwechslung gesorgt! Das möchte ich euch anhand der Beschreibung eines ganz normalen Unitages einmal näherbringen.

Ich sitze gerade gemütlich in der S- Bahn und träume vor mich hin. Auf einmal kurz nach Biesdorf wird meine Döserei empfindlich gestört - durch einen undefinierbaren Geruch; ein bisschen Schweiß, ein wenig Käse und ???; dessen Ursprung ich zuerst nicht ausmachen kann. Doch da steht ER, sagen wir besser das Subjekt, vor mir - und ich erschnuppere sofort, woher der Geruch stammt.

Natürlich, wer solche Körperdüfte verströmt, erhält meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Das Subjekt trägt Stiefel ohne Schnürsenkel, hellblaue, ausgeschlabberte, nicht mehr ganz saubere Jeans und eine ebenfalls nicht mehr reine Jacke. Das Individuum ist unrasiert und scheinbar auch ungewaschen. Gott sei Dank setzt er sich nicht neben mich. Dafür sehen nun die Leute mir gegenüber sehr begeistert aus. Dort hat er sich nämlich ein Plätzchen ausgesucht. Er starrt vor sich hin... bei dem Geruch würde ich auch nicht klar denken können... Derweil reiße ich schnell ein Fenster auf und ernte dankbare Blicke. Überhaupt - wie eine solche Störung den doch sonst sehr einzelgängerischen Berliner vereint. Wir werfen uns alle mitleidsvolle Blicke zu.

Ach herje, jetzt quatscht er einen Fahrgast an. Das Wort "Zigarette" habe ich verstanden, den Rest jedoch nicht. Soll heißen, das Subjekt ist des Deutschen nicht mächtig. Der Fahrgast schüttelt nur verneinend den Kopf und rückt gleich noch ein Stückchen zur Seite. Bloß nicht mit dem Kerl in Berührung kommen! Ich bin sehr dankbar für die neben mir sitzenden Menschen, denn nun sucht er sein nächstes Opfer aus. Eine sehr adrett aussehende ältere Dame, bei der es mir nicht im Traum einfallen würde, sie um eine Zigarette anzupumpen. Doch ER tut es und erhält nur einen eisigen Blick. Bravo! Tja, wieder nichts abgestaubt. Sein Blick schweift im Waggon umher und wir tun so, als ob wir im Moment schlafen, uns die Nase schnauben oder unbedingt und auf der Stelle etwas in unseren Taschen suchen müssen. Ein gespannter Augenblick... geschafft!

Er steigt in Lichtenberg aus. Voller Mitgefühl denke ich an all die anderen Fahrgäste, die er nun mit seinem Geruch beglücken wird. Apropos, nach 5 Minuten kann man endlich wieder frei durchatmen. Und schnell bin ich in Gedanken versunken. Leider nicht lange, denn in Ostkreuz steigt ein Verkäufer des Straßenfegers samt Hund ein und sagt sein Sprüchlein auf. Er hat sich sogar etwas Nettes ausgedacht und entschuldigt sich für die Störung. Naja, macht nichts... hab heute schon schlimmeres erlebt. Warschauer Straße steigt er aus. Und ich entschwinde wieder in andere Welten. Doch heute meint es irgend jemand besonders gut mit mir. Ich muss zwar nur noch eine Station fahren. Aber warum soll man, das heißt 2 Musiker, mir diese Zeit nicht mit einer russischen Volksweise verschönern?

Hackescher Markt stürze ich aus der Bahn gen Fakultät!

Dann, nach einem schweren Unitag möchte ich in der U-Bahn vor mich hin dösen. Ich setze mich ahnungslos auf meinen Platz und... neben mich setzt sich ein seltsames Individuum. Das es seltsam ist, stelle ich allerdings erst fest, als es anfängt vor sich hinzubrabbeln: "Jaja, ich bin ein ganz fixer...hihihi...doch, doch....ein ganz fixer... früher da war ich noch viel schneller...ganz fix...hihihi..." - Aha! Dann kramte er in seiner Aldiplastetüte und...holte eine 2-Liter-Flasche Sangria heraus! Soso!

Frankfurter Allee wird der Zug von Schülern gestürmt. Was mich an meine Schulzeit erinnert, als ich noch aufpassen musste, im Bus nicht von einem Rucksack zerquetscht zu werden. Ach ja...

Was ich auch besonders liebe, sind alte Menschen, die sich in meine unmittelbare Nähe setzen. Dann erfahre ich nämlich alles über Krankheiten, Kurorte, was die Marina gestern gekocht hat, warum die Bärbel nicht mit nach Dresden fährt und über viele andere spannende Dinge, die die Welt bewegen.

Ebenfalls sehr amüsant sind die Berlintouristen. Beim Anblick des Carrè-Centers am Ostbahnhof ließ sich eine Frau zu der Bemerkung hinreißen: "Schau mal, das ist ja wie in Magdeburg!"
Und so kommt bei mir nie Langeweile auf! Vielen Dank, wer auch immer du bist, dass du mir diese wunderbaren S-Bahn Fahrten bescherst!

Ich kann euch nur raten: Leute, fahrt Bahn!

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