Einstürzende Altbauten

Besteht Lebensgefahr?

Drei Jahre lang buddelten die Archäologen im historischen Sandkasten. Kaninchen hatten genug Zeit den eh schon instabilen Grund auf dem ehemaligen Friedhof voller Inbrunst zu besiedeln und auszuhöhlen – inmitten der Überreste von über 500 vermutlich an der Pest Verstorbenen.

Nach Abschluss der archäologischen Arbeiten wurde im April 2000 mit dem Bau des siebenstöckigen Büro- und Geschäftshauses „Spreepalais am Dom“ begonnen.

Im August, während der Semesterferien, traten bei Tiefbauarbeiten die ersten Risse in unseren Fakultät auf. Es gab im Vorfeld zwar Gutachten darüber, ob solche Rammarbeiten Folgen an der Fakultät nach sich ziehen würden. Diese befanden, es sei nicht nötig, die Fakultät zu sichern. Man hatte jedoch nicht gewusst, dass es unter der Uni Hohlräume gab. Ausgelöst durch die Erschütterungen, stürzten diese ein.

Mittlerweile sind achtzehn Büros (u.a. das Institut für Wirtschaftstheorie III und der Sonderforschungsbereich), fünf Seminarräume, ein Hörsaal, das Studienbüro und Prüfungsamt sowie Teile der Bibliothek gesperrt worden.

Größtenteils wurden die Einrichtungen in die Burgstrasse 26 verlegt, für die Bibliothek wurde erst kürzlich ein Mietvertrag am Alexanderplatz 6, dem ehemaligem Sitz der Treuhand unterschrieben. Frühestens Mitte Dezember, spätestens aber im neuen Jahr werden wir dort wieder an unsere geliebten Bücher und Zeitschriften kommen.

Es wurde weitergebaut, es traten neue Risse auf, und der Raum 128 sieht eher nach Tacheles-Theater denn nach Uni-Fakultät aus. Zwischendurch bestand hier akute Einsturz- und Lebensgefahr. Es kommt kaum Licht herein, denn ein Metallgerüst hat man zügig installiert, als die Stützsäulen zwischen den Fenstern zerbrachen, ein Netz und Metallstreben hindern die Decke daran einzustürzen und es ist kalt, denn die Heizkörper wurden ebenfalls abmontiert. Der Estrich am Boden hat einen Knick und in den Spalten an der Wand kann man seine Fäuste verschwinden lassen.

Saniert werden soll das Ganze bis zu Beginn des nächsten Wintersemesters. Die Umzugs-, Miet- und Sanierungskosten übernimmt der Bauherr, die Deutsche Immobilien Anlage GmbH (DESPA), was sie aus zweierlei Gründen auch machen muss.

Denn wie der Leiter der technischen Abteilung der HU, Ewald Schwalgin gegenüber der Berliner Zeitung berichtete, hatte man doch vermutet, dass bei den Rammarbeiten etwas passieren könnte. Also hatte man vorher vereinbart, dass die DESPA die Kosten übernimmt, außerdem gibt es laut der Berliner Zeitung die sogenannte „Spreeklausel“: Wer an der Spree etwas baut, muss die Nachbarhäuser vor dem Zusammensturz bewahren.

Das also muss die DESPA tun. Außer den Gutachten vor Baubeginn gab es immer wieder Bestandsaufnahmen der laufenden Schäden, und im Umgang mit der HU zeigten sich beide Seiten zufrieden. Unzufrieden sind natürlich wir Studenten – jeder fragt sich wohl, ob die Umzüge nicht hätten vermieden werden können. Vor allem, weil bekannt ist, dass der Boden in Spreenähe mürbe ist und man wusste das der ehemalige Armenfriedhof der Heilig-Geist-Kapelle nicht den besten Baugrund bietet.

Sollte also alles glatt laufen, haben wir unsere Räume nächstes Jahr wieder. Für wie lange, ist noch die Frage, denn uns erwartet eine weitere Baustelle: Das SAS Radisson, einst das Palasthotel und das „Erste Haus in der Hauptstadt der DDR“ wird abgerissen, obwohl es zwischen 1992 und 1995 für 60 Millionen komplett renoviert wurde. Wo früher Leonard Bernstein, Yehudi Menuhin und Roland Kaiser nächtigten, soll bis 2003 das Vorzeigeobjekt „Domaquarée“ der Deutschen Immobilien Fonds AG (Difa) entstehen. Ein Viertel voller Büros, Wohnungen und Geschäften, außerdem ein Vier-Sterne-Hotel mit Bäderlandschaft und Wellness-Center; insgesamt entstehen an der Spandauer Straße mehr als 100 Eigentumswohnungen. Attraktion des 870 Millionen Mark teuren Projekts wird das 18 Meter hohe Aquarium. Gäste sollen es im Fahrstuhl durchqueren und Manfred Lohr, Sprecher der Difa, verspricht „echte Fische“ die man beim Vorbeifahren beobachten kann. Vorgestellt wurde das Projekt erstmals auf der Immobilien-Messe „Mipim“ im französischen Cannes. Nicht zu Unrecht monierte der Baustadtrat Thomas Flier vom Bezirksamt Mitte „den Bruch mit dem bisher dort üblichen Maßstab“, denn im Gegensatz zur jetzigen, eher lockeren Bauweise des Radissons, sieht das „Domaquarée“ intensive Flächennutzung vor, im Kontrast zu den umliegenden Gebäuden.

Wenn unsere Fakultät mit ihrem eigenen, bescheidenen, wenn auch weitaus berühmteren Aquarium nicht schon vor lauter Neid auf den nachbarlichen Prunk in sich zusammenfällt, haben wir trotzdem gute Chancen, dass bis zur geplanten Fertigstellung des „Domaquarées“ weitere Schäden folgen. Und ob die geplanten vier Millionen zur Restaurierung unserer Kapelle dann noch ausreichen, ist auch die Frage. Aber hoffen wir, dass uns die alte Fakultät auch in Zukunft erhalten bleibt und wir uns inmitten der sterilen Neubauten mehr oder weniger sicher und geborgen fühlen können und vielleicht auch noch ab und zu ein Kaninchen über den Innenhof hoppeln sehen.

sk