Was bedeutet das, Studieren?

Im Verlauf meiner nun schon zweijährigen Studienzeit ging mir immer wieder eine Frage durch den Kopf: Was bedeutet Studieren? Im Lexikon hat „Studieren“ 2 Bedeutungen:

1. Eine Hochschule besuchen.

Das kann ich bestätigen. Ich studiere an der Humboldt-Universität zu Berlin, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Darauf müsste ich nun eigentlich sehr stolz sein, denn unsere Professoren bezeichnen unsere Universität gerne als Eliteuniversität. Warum frage ich mich dann trotzdem zu Beginn jedes Semesters, was mich denn hier noch hält?
Schauen wir uns einmal die 2. Bedeutung des Wortes Studieren an:

2. Sich intensiv mit einem Gegenstand beschäftigen.

Das bedeutet also, Wissen erwerben, lernen, sich mit dem Stoff auseinandersetzen. So hatte ich das eigentlich auch immer gesehen. Ich bin ein Mensch, der gerne Wissen in sich aufsaugt. Ich liebe Bibliotheken und viele Bücher um mich herum, in denen ich schmökern kann. In jedem Fach wird uns ein mehr oder weniger gutes Buch zur Lektüre empfohlen, mit dem man dann seine freien Stunden verbringen kann. Warum bin ich dann unzufrieden?

Werfen wir ein Blick in die Studien- und Prüfungsordnung bzgl. des BWL-Hauptstudiums. Da heißt es, dass ich sieben ABWL- Fächer belegen soll, zwei BBWL- Fächer, eine AVWL, ein Wahlpflichtfach und ein Ergänzungsfach. Das bedeutet, ich schreibe in jedem Semester acht Klausuren. Das bedeutet auch, ich muss mich in jedem Semester auf diese acht Klausuren vorbereiten.

No problem! Wäre da nicht der Faktor Mensch. Soll heißen, ich brauche Schlaf – nur ein bisschen; muss mich waschen, muss essen und trinken –nur ein wenig; muss irgendwie zur Uni kommen, muss mir die Vorlesungen anhören, muss die Übungen besuchen, muss mich auch einmal ausruhen – nur für ein paar Minütchen. Und an dieser Stelle ist es angebracht, sich einmal die Anzeigen der großen Firmen, wo wir alle hinwollen, anzusehen. Da steht: flexibel, mobil, dynamisch, einsatzbereit, unternehmungslustig, belastbar, kontaktfreudig, mit einem überdurchschnittlich guten Notendurchschnitt, 5 Sprachen sprechend, Auslandserfahrung, Praktikum vorzuweisen. No problem! Heißt also: Englischkurs besuchen, sich in einer Studenteninitiative seiner Wahl betätigen, in der vorlesungsfreien Zeit (Nein, nicht „Semesterferien“!!!) ein Praktikum machen, ein Semester oder auch zwei ins Ausland gehen, nicht zu vergessen die sportliche Betätigung und die Pflege seines Bekanntenkreises, weil wir ja auch kontaktfreudig sind. No problem!

Zwei Anforderung möchte ich noch genauer unter die Lupe nehmen. „Belastbar“; no problem! – diesmal im Ernst. Wer diese Fakultät heil übersteht, wird alles überleben. Frei nach dem Motto: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker! Bleibe ich deshalb hier?

„Überdurchschnittlich guter Abschluss“ – that’s a realy big problem – oh ja. Ich habe mir einmal ausgerechnet, wieviel Zeit ich pro Wochentag für das Vor- und Nachbereiten der VL habe: 4 Stunden. Klingt erst einmal viel, aber das ist es nicht. In dieser Zeit muss ich Bücher lesen, übersetzen, das Wichtigste herausschreiben, durchdenken und verstehen und vieles mehr. Und da ist das große Problem! Es bleibt einem überhaupt keine Zeit, den Stoff zu durchdenken. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die stur auswendig lernen. Ich möchte gerne den Zusammenhang verstehen. Und wenn ich dann lerne, möchte ich das nicht für die nächste Klausur tun, sondern für mein späteres Berufsleben. Dieser Wunsch erwies sich jedoch schnell als Utopie. Meist habe ich den Stoff spätestens einen Tag nach der Klausur vergessen. Ich finde das traurig. Und das furchtbare ist, im Hauptstudium wird es nicht besser, sondern eher schlimmer. Acht Klausuren pro Semester und diesmal geht es wirklich um die Wurst. Jetzt geht es um die Zukunft. Denn je besser das Diplom, um so größer sind die Chancen auf einen (guten) Job.

Um also den roten Faden wieder aufzugreifen: Das Studieren besteht für mich sekundär darin, langfristig Wissen zu erwerben und primär darin, sich durchzubeißen, über sich hinauszuwachsen, seine Grenzen zu testen, nicht unterzugehen und auch erwachsen zu werden. Und eines habe ich ebenfalls gelernt: Time–planning ist alles!

CHE