Bill Gandhi

Wirt-hik und Et-schaft in der WiwiFak

Ein Hauch von nicht nur akademischer Wichtigkeit fegte durch die Gebäude der Wiwi-Fakultät aus Anlaß des ersten Symposiums des Humbold-Forums. Die Gästeliste dieses Geburtsfestes war lang und die Teilnehmerliste auch, wobei sich letztere überwiegend aus Studierenden zusammensetzte, die sich dann mit entsprechenden Namensbuttons und schmucken Täschchen incl. Hochglanzinformationsmaterial ausgestattet durch die Uni wälzten. Ausgerichtet wurde der Spaß, der in Zukunft regelmäßig stattfinden soll, von dem extra für diesen Zweck gegründeten Verein “Humboldt-Forum Wirtschaft”, der von einer Gruppe “engagierter” Studenten (wie man so schön sagt) getragen wird.

Das Symposium begann in Hörsaal 201 (immerhin genauso gefüllt wie bei Pflichtvorlesungen im Grundstudium) mit dem obligatorischen Grußwort des Dekans, das sich durch pointierte Kürze auszeichnete, gefolgt von der Begrüßungsrede des Sprechers des studentischen Humbold-Forum-Teams. Dieser betonte die interdisziplinäre und akademische Zielsetzung dieser Veranstaltung, zeigte sich erfreut bezüglich der sich eher zufällig ergebenden Aktualität der Themenauswahl, führte inhaltlich in die beiden Themenschwerpunkte (“Ethik in der Informationsgesellschaft” und “Vorsprung durch Ethik - Unternehmenskultur im Wandel”) ein und stellte uns schließlich Prof. Kirchner vor, der dann die eigentliche Einführungsrede halten durfte.

Herr Prof. Kirchner ist Lehrstuhlinhaber für Institutionenökonomik, was man seinem Vortrag auch durchaus anmerkte: Nachdem er zunächst in guter neopositivistischer Tradition den Begriff “Wirtschaftsethik” als metaphysisches Scheinproblem und damit als bloßes Alibi-Instrument entlarvt hatte, konnte er im folgenden den Ethikbegriff einer grundlegenden ökonomischen Analyse unterziehen und ihn anschließend sogar als potentielles Signaling- und Selbstbindungsinstrument der Unternehmen wieder in den ökonomischen Diskurs einführen.

Die sich daran anschließenden Vorträge fanden in mit Blumen geschmückten Hörsälen (vermutlich die ersten Blumen im Hörsaal seit der Einweihung) statt, wobei ich natürlich wie jedes Mal wieder an einem Platz mit nicht funktionierendem Klapptisch saß. Dies tat meinem Vergnügen an dem Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Weizenbaum, der sich als geistreicher, amüsanter, weiß- und langhaariger Anekdotenerzähler entpuppte, allerdings keinen Abbruch. In Bezug auf das Thema “Ethik in der Informationsgesellschaft” stellte er zunächst den Begriff der “Informationsgesellschaft” in Frage, da seiner Meinung nach alle bisherigen Gesellschaften durch die Verarbeitung von Informationen gekennzeichnet waren. Der einzige Unterschied lag für ihn in der extremen Datenflut (also kein qualitativer, sondern ein rein quantitativer Unterschied), die allerdings wie in der Vergangenheit auch durch Interpretation und Kommunikation verarbeitet werden wird. Die Frage nach der Ethik in der Informationsgesellschaft ließe sich damit auf die Frage nach der Ethik in der Gesellschaft überhaupt reduzieren. Den Frageteil benutzte er dann hauptsächlich um zu erzählen, wie seine Sekretärin damals seine selbstentwickelte Programmiersprache ELIZA ausprobierte.

Eine willkommene Unterbrechung zwischen den einzelnen Veranstaltungen boten die zahlreichen Kaffeepausen und der Mittagsimbiss: für studentische Verhältnisse reichhaltig, wohlschmeckend und kostenlos (!), was man auch an den ungläubigen Gesichtern der Teilnehmer oder zufällig vorbeilaufender Studierender ablesen konnte. Finanziert wurde das opulente Mahl durch Sponsoren, denen es als Ausgleich erlaubt wurde, durch adrette junge Männer und Frauen vor bunten Plakaten Kugelschreiber an harmlose Passanten zu verschenken.

Die darauf folgende Podiumsdiskussion zum Thema “Informationsverwertung im Internet – Zufriedener Kunde oder verletzliches Individuum” (incl. erfolgreichen Jung-Yuppies und gut situierten Profs und MdBs) wurde teilweise auf recht hohem Niveau geführt, wobei die Konfliktlinien, wie bereits vom Diskussionsleiter vermutet, tatsächlich überwiegend zwischen der “Geld-“ und der “Sicherheitsfraktion” verliefen: Während die “Geldfraktion” zum einen die rasche Alterung der personenbezogenen Informationen und die exorbitant hohen Kosten der Auswertung und Integration dieser Informationen betonten, wies die “Sicherheitsfraktion” auf die Existenz von Informationsasymmetrien zwischen Konsumenten und Produzenten und die potentielle Gefahr von kriminellen Handlungen mit personalisierten Daten hin. Auf die Frage aus dem Publikum nach der Sammlung von Negativdaten ging das Podium leider nicht in wünschenswerter Weise ein.

Das Panel zum Thema “Pandoras Box Genom - Sieg der Effizienz über die Ethik?” (diesmal sogar mit jeweils zwei Jung-Yuppies und MdBs) verlief dann ebenfalls entlang den vermuteten Konfliktlinien “Versicherungswirtschaft” und “staatliche Institutionen”, wobei ökonomische Begriffe wie “adverse Selektion” diesmal tatsächlich einen relevanten Praxisbezug aufwiesen.

Pflichtbewußt verließ ich dann die zweite Diskussion vorzeitig, um noch zu meiner Übung zu gehen, wobei ich nach 8 Stunden intensivem Extreme-Vortrags-Hearing immerhin genauso häufig gähnen mußte wie der Dozent. Zum Vortrag von Herrn Kornblum, den ich deshalb nicht genießen konnte, kann ich nur noch sagen, dass er mir auf der Treppe etwas orientierungslos den Weg abgeschnitten hat.

Insgesamt läßt sich diese Veranstaltung sicherlich als “runde” Sache bezeichnen, wobei es tatsächlich gelungen ist, Bezüge zwischen ökonomischer Theorie und gesellschaftlicher Praxis aufscheinen zu lassen. Die Ausgangsfrage “Wirtschaft und Ethik - ein Widerspruch in sich?” war zwar teilweise nicht sonderlich präsent, aber die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Wirtschaft und Ethik ist sowieso weder machbar noch wünschbar. Außerdem war das Essen lecker. Von daher sehe ich mit (Gaumen-)freuden dem nächsten Symposiumsspaß entgegen.

jf