Das Graduiertenkolleg Angewandte Mikroökonomie

Expeditionen in die Wiwi-Fak

Ihr wisst wahrscheinlich alle, dass unsere Fakultät eine Mensa hat. Aber wisst ihr auch, dass sie außerdem auch Graduiertenkollegs besitzt? Wahrscheinlich eher nicht, aber das ist ab diesem Herbst auch nicht mehr so schlimm, weil dann hat die Fakultät ein Graduiertenkolleg weniger. Aber immer noch eine Mensa. Deswegen ist dies eine Vorstellung und ein Nachruf auf das Graduiertenkolleg „Angewandte Mikroökonomie“ zugleich.

Anfang mit Kolleg

Graduiertenkollegs gibt es in Deutschland noch viele andere, entsprungen aus der Unzufriedenheit mit dem deutschen System des Promovierens, in dem sich ein Doktorand eigentlich alles selber aneignen muss, meistens nicht so gut ausgebildet und durch die Lehrverpflichtungen auch älter ist als ein amerikanischer Ph.D. Die Stiftung Volkswagenwerk hat deshalb 1988 einen Modellversuch gestartet, in dem Graduiertenkollegs gefördert wurden. Doktoranden sind hier nicht wie sonst als Assistent einem Lehrstuhl zugeordnet und müssen auch keine Übungen oder ähnliches abhalten. Wie in den amerikanischen Ph.D. Programmen müssen dafür Pflicht- und Wahlkurse belegt werden. Danach sollte dann die Doktorarbeit bei einem der teilnehmenden Professoren geschrieben werden (bei uns waren das Lütkepohl, Burda, Kamecke, Härdle, Güth, Blankard, Stehle, Wickström u.a. sowie einige von den FU-Wirtschaftlern), so dass man mit Kursen in insgesamt 3-4 Jahren seinen Doktortitel erlangen kann. Das einzige wirtschaftswissenschaftliche Graduiertenkolleg, das bei besagten Modellversuch teilnahm, war das HU-FU Gemeinschaftsprojekt „Angewandte Mikroökonomie“, bei dem sich auch das Wissenschaftszentrum Berlin beteiligt. Inzwischen gibt es zusammen mit den anderen Berliner Unis allerdings weitere Graduiertenkollegs an dem die Wiwi-Fak beteiligt ist, wie „Verteilte Informationssysteme“ (Vorsitz: Prof. Günther).

Im Wintersemester 1992/93 war der Modellversuch beendet, ab dann wurde das Mikro-Kolleg von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert. Sie vergab auch die acht Stipendien pro Jahrgang, insgesamt wurden jeweils zwischen 13 und 16 Studenten mit guten Diplom-Noten aufgenommen. Das Stipendium beträgt um die 1750 DM im Monat für bis zu drei Jahre. Früher war Prof. Wolfstetter der Vorsitzende, inzwischen ist es nach etwas komplizierter Übergangszeit Prof. Kamecke.

Probleme mit Kolleg

Theoretisch klingt das alles recht gut, es gibt auch ein wöchentliches Kolloquium, einen Workshop pro Semester und inzwischen sogar ein Büro für das Kolleg in der Ziegelstraße, aber trotzdem hörte man seitens der Teilnehmer selten begeisterte Stimmen. Das Graduiertenkolleg ist halt doch kein Ph.D. Programm. Die einzigen Kurse, die über Hauptstudiums-Niveau hinausgehen, sind zwei anspruchsvolle Mikro-Pflichtkurse und ein Workshop, einmal gab es ein Mikro-Seminar. Die restlichen vier zu belegenden Pflichtkurse sind, wenn auch zum Teil auch mehr für die Doktoranden konzipiert, aus dem Hauptstudiumsangebot. In guten ausländischen Ph.D.-Programm gibt es aber Kurse zu allen wichtigen Bereichen der VWL auf einem post-Diplom Niveau. Schließlich werden diese Programme meistens wegen ihrer Breite gelobt, durch die jeder Absolvent auf vielen Gebieten recht fit ist, und nicht wie beim deutschen System Spezialist in einem winzigen Detailbereich. Gegenüber der normalen Promotion an einem deutschen Lehrstuhl sind die Graduiertenkollegs aber schon ein Fortschritt. In der Beschreibung des HU-FU Projektes, z.B. auf der Website, sind noch eine Reihe anderer Fächer aufgelistet, in denen die Doktoranden auf den neusten Stand der Forschung gebracht werden sollten. Das war anscheinend auch schon seit längerem geplant, aber dazu kam es nicht mehr.

Auch ist die Betreuung recht mühsam. Die Studenten des Graduiertenkollegs müssen wie alle anderen Studenten der Wiwi-Fak zur Klärung von Fragen in die Sprechstunden der Professoren, und ob man darunter eine gute Betreuung versteht, könnt ihr aus eigener Erfahrung wohl selbst entscheiden. Wenn man dazu noch neu an die HU gewechselt ist und daher keinen Professor kennt, gestaltet sich das Ganze noch ein wenig schwieriger.

Weiterhin ist auch ein wenig unklar, ob das Wort „Angewandt“ in der Betitelung des Kollegs berechtigt ist. Dass dieses Wort an unserer Fakultät des öfteren zur Zierde für nur schwach angewandte Vorlesungen benutzt wird (z.B. „Angewandte multivariate statistische Verfahren“), dürfte schon vielen aufgefallen sein, den Kolleg-Studenten wird, wie gesagt, neben den normalen Hauptstudiums-Ökonometrie Vorlesung und einer gemischten Veranstaltung nichts weiter zum Thema „Angewandt“ angeboten. Die beiden Mikro-Kurse sind auf jeden Fall so theoretisch, wie man es von unserer Fakultät so gewöhnt ist. Viele Doktoranden fanden die Bedingungen als Assistent an einem Lehrstuhl wohl doch besser, weshalb viele zwar noch dem Graduiertenkolleg zugerechnet werden, inzwischen aber ganz normal an einem Lehrstuhl in ihrem eigenen Büro promovieren. Das angestrebte Niveau von amerikanischen Ph.D.-Programmen ist wohl auch von anderen deutschen Graduiertenkollegs noch lange nicht erreicht worden.

Schluss mit Kolleg

Auf der Webseite des Graduiertenkollegs steht trotzdem: „Es ist abzusehen, dass Graduiertenkollegs zu einem festen Bestandteil des Ausbildungsangebots deutscher Universitäten werden.“ Das mag schon sein, aber das Kolleg „Angewandte Mikroökonomie“ wird es wohl nicht. Die DFG schickt regelmäßig Gutachter zu den Graduiertenkollegs, um zu überprüfen, ob sie nach einem Verlängerungsantrag weiterhin der Förderung würdig sind. Irgendwie hat man diese Prüfung wohl nicht ernst genug genommen und dachte, die Gelder würden schon bewilligt. Das sah die DFG anders, und dreht ab diesem Herbst den Geldhahn für neu-Aufgenommene ab, weshalb es dann auch keine neu-Aufgenommenen mehr geben wird. Ein recht unrühmlicher Abgang.

Anscheinend spielten auch einige Missverständnisse eine Rolle, denn die DFG signalisierte, dass die Wiwi-Fak in Zukunft neue Mittel für ein Graduiertenkolleg erhalten könnte, aber da Prof. Kamecke die Uni Richtung DIW verlassen wird, muss jemand anderes gefunden werden, der einen Antrag stellt. Bei der derzeitigen Struktur der Fakultät sieht es laut Kamecke wohl danach aus, dass ein empirisch arbeitender BWL-Prof dieses tun wird. Das wäre insofern eine Neuerung, als dass ein BWL-Prof sich auch mal in studentischen Belangen engagieren würde, auch wenn dies natürlich in erster Linie mal wieder ein Prestigeobjekt wäre (wenn man z.B. das Akademische Auslandsamt nach ihrer Meinung zu unseren BWL´er fragt, bekommt man eine längere Predigt über verweigerte Zusammenarbeit und absolute Untätigkeit in Sachen Austauschprogrammen).

Wie bei der Anfangsphase des Masters-Programms sieht man an den Graduiertenkollegs mal wieder: Gute Vorsätze, die aber nur halb umgesetzt werden, ergeben noch lange kein gutes Programm. Vor allem ist es auffällig, dass oftmals theoretisch gesehen wird, wie man die Qualität heben könnte, aber sobald es dann an die Umsetzung geht, löst man sich lediglich schwach vom Immerdagewesenen (nicht nur an unserer Fakultät). Auch das Masters-Programm ist letztendlich keine große Innovation, sondern nur ein Hauptstudium auf Englisch in anderer Zusammensetzung. Über die Gründe, warum dies so geschieht, lässt sich nur spekulieren: Experimentierunfreudigkeit? Vernachlässigung des Programms nach Ende des Anfangsenthusiasmus? Dabei sein wollen, ohne zusätzliche Arbeit zu tragen? Verzettelung und hohe Arbeitsbelastung?

Mit neuen Impulsen in Sachen Doktorandenausbildung könnte die Wiwi-Fak auf jeden Fall mehr als durch ihr Gerede von Elite-Uni europaweit Beachtung erhalten. Eher unwahrscheinlich, dass ihr dies gelingt.

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