Sind wir Elite?

Wenn man so das eine oder andere Semester vor sich hinstudiert hat, kommt einem – manchmal ganz plötzlich – die Frage: Warum Wirtschaft an der HU studieren? Dann aktiviert sich spontan die „Antwort-Routine“, welche die schon vorbereiteten Standartbegründungen auswirft. Diese lauten beispielsweise: „weil ich später viel Geld verdienen will“, „weil der NC von Elementarteilchenpsychologie zu hoch war“, „weil Wirtschaft Zukunft hat“ usw.

Ergo geht es den meisten Studenten nicht um das Studium der Wirtschaftswissenschaften und das Verstehen sowie Erlernen ökonomischer Fakten und Modelle selbst, sondern um eine Vorbereitung für das Leben nach den 10 Semestern. Das impliziert natürlich, dass das Interesse für die Lehre kein inneres Bildungsbedürfnis (humboldt’sches Bildungsideal) ist sondern ein Mittel zum Zweck darstellt. Da Staat und Wirtschaft gut und praktisch ausgebildeten Nachwuchs benötigen, ist ein utilitaristisches Bildungsziel sicherlich opportun. Bleibt also bloß zu fragen, ob unsere Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät eine Ausbildung bietet, die derartig praxisrelevant ist.

Ein Beispiel zur Widerlegung der These, dass das Ziel unseres Studiums die Vorbereitung optimal geschulter Praktiker ist, wäre beispielsweise der BWL-VWL Parallellauf im Grundstudium. Auch existiert eine Anzahl Fächer, deren Stoff veraltet, unwichtig oder praxisfern ist, oder bei denen zumindest fraglich ist, warum sie für jeden zum Pflichtprogramm gehören. Wieso müssen VWLer sich mit dem eh praxisfernen Marketing quälen und warum wird pragmatischen BWLern ein so esoterisches Fach wie Wirtschaftsgeschichte aufoktroyiert?

Nun könnte man natürlich entgegnen, das Ziel der Ausbildung müsse ja mit Hinblick auf die konkrete Berufswahl der Studenten allgemein gehalten werden. Auftrag der Universität wäre, wie der Name schon sagt, eine universelle Formung der Studenten zu sich selbst Wissen aneignenden, flexibel einsetzbaren und intelligenten Menschen. Diese Zielstellung würde erklären, warum unpraktische Dinge und unhandliche Lösungsverfahren sowie ein großer theoretischer Ballast gelehrt werden. Doch bleibt in diesem Falle zweifelhaft, aus welchem Grund unsere Fakultät derartig verschult aufgebaut ist.

Es ist doch schon ein wenig katastrophal, dass einige Studenten der VWL im vierten Semester noch nichts von Adam Smith gehört haben. Auch ist es symptomatisch, dass, während andere Geisteswissenschaftler in der Bibliothek aus mehr als fünf Büchern Wissen saugen, um in einem kreativen Denkprozess Hausarbeiten zu erstellen, der VWL-Student im vierten Semester die multiple-choice Fragen der vorherigen Klausuren auswendig lernt, damit er seine Vordiplomsprüfung besteht. Das Ziel des gesamten Grundstudiums scheint lediglich ein Selektionsprozess zu sein, welcher dem Tüchtigen und ein wenig mit Glück gesegnetem den Weg in das Hauptstudium ebnet. Dort, so fürchte ich, wird es wiederum lediglich um das Bestehen von Tests und Klausuren gehen, welche einen veritablen Abschluss sicherstellen sollen.

Die sehr hohen Durchfallquoten dienen dann als Begründung für den Eliteanspruch unserer Fakultät. Dieses Elitegefühl speist sich noch aus zwei weiteren - was die Qualität der Bildung anbelangt eher zweifelhaften -Quellen. Zum einen ist dies der Name „Humboldt“, der wie oben dargelegt mit der bei uns praktizierten Menschenformung wenig zu tun hat. Zum anderen wird die hohe Qualität des Lehrkörpers hervorgehoben. Leider entspringt die gute Reputation der Professoren fast ausschließlich ihrer Forschungstätigkeit.

Das hat zur Folge, dass ihnen natürlich das Schreiben von Aufsätzen deutlich näher liegt, als das Halten von Erstsemesterveranstaltungen. Natürlich ist dies alles nicht nur ein Problem unserer Universität, sondern der Fehler liegt im System.

Schon Smith beschrieb einige der oben erwähnten Unstimmigkeiten, z.B. dass Professoren die Forschung der Lehre vorziehen, was zeigt wie alt diese Probleme sind. Auch präsentiert er den interessanten Vorschlag, das Wissen in staatlichen zentralen Prüfungen abzufragen. Wenn man diesen Gedanken weiterverfolgt, könnte die finanzielle Ausstattung der Hochschulen von dem Erfolg ihrer Absolventen in diesen Prüfungen abhängig gemacht werden. Um die Freiheit der Lehre nicht einzuschränken, wäre dann aber vonnöten, sehr breite Klausuren zu stellen, bei denen zwar 100% unmöglich sind, dafür aber auch Zusatzwissen prämiert wird.

Wenn man noch weiter träumt, wäre es wünschenswert, das Grundstudium von einem „Tal der Tränen“, dass der Selektion der Auserwählten dient, in ein wirklich die Basics vermittelnden Abschnitt des Studiums zu verwandeln. Dazu wäre es aber wahrscheinlich für die Hochschulen nötig, die Auswahl der Studenten schon vor dem Studium treffen zu können.

Da Bildungspolitik und Universitätsstrukturen sich so schnell nicht von allein ändern werden, wird wohl auch an der WiWi-Fak die nächsten fünf Jahre weitergewurstelt wie bisher. Grund auf uns stolz zu sein haben wir aber leider nicht.

„Der einzig Ausweg wär aus diesem Ungemach, sie selber dächten auf der Stelle einmal nach“ [Brecht]

gz