Eins, zwei, drei, viele...

Volkszählung in Deutschland

Die Volkszählung, die Politikern Planungssicherheit bietet und uns Zahlen für ökonometrische Modelle bietet, naht unaufhaltsam. Über den Stand der Volkszählung in Deutschland diskutierten im März 2001 Statistiker, Wissenschaftler und Datenschützer auf der Tagung der Johann-Peter-Süßmilch-Gesellschaft in Berlin zum Thema „Volkszählung in Deutschland“.

In ganz Europa führen die Länder in den Jahren 2000 und 2001 eine Gesamtzählung der Einwohner, Wohnungen sowie Arbeitsstätten durch. Einer Großzählung kommt die entscheidende Aufgabe zu, die Grundgesamtheit von bestimmten Merkmalen der Bevölkerung sowie Wohn- und Lebenssituation festzustellen. Die Zahlen sind nicht nur Selbstzweck wissenschaftlichen Erkenntnisdurstes, sondern bedeuten in Deutschland für die Gemeinden bares Geld und Macht. So beruhen beispielsweise der Länderfinanzausgleich und das Stimmengewicht der Länder im Bundesrat auf den Einwohnerzahlen der Gemeinden.

Was ist los in Deutschland?

Die letzte Volkszählung fand noch im getrennten Deutschland, 1981 in der ehemaligen DDR und 1987 in der Bundesrepublik, statt. Seitdem haben sich die Realitäten stark geändert. Allein aus diesem Grund wird eine Zählung von vielen Seiten gefordert. Fand sonst immer alle 5 bzw. 10 Jahre eine Zählung statt, wird sich für die nächste Zeit gelassen. Nach der zeitlichen Einschätzung von Prof. Krug (Uni Trier, Fachbereich Statistik) wird eine nächste Zählung erst nach dem Jahr 2007 und nach Dieter Bierau (Statistisches Bundesamt Wiesbaden) auf jeden Fall noch vor 2011 stattfinden. Die wichtige Frage, wie soll gezählt werden, scheint schon so gut wie beantwortet. Nach den traumatischen Erfahrungen, die mit der Vollerhebung (d.h. ein “Zähler” läuft von Wohnung zu Wohnung) 1987 gemacht wurden, und dem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand (Johann Hahlen, Präsident des Statistischen Bundesamtes, schätzt für eine erneute Vollerhebung ca. 1,5 - 2 Mrd. DM) wird in Deutschland ein neues Modell favorisiert: eine registergestützte Datenauswertung. Als datengebende Register sollen das Einwohnermelderegister, das Register der Bundesanstalt für Arbeit sowie Dateien anderer Behörden und Gebietskörperschaften genutzt werden. Zusätzlich werden postalische Befragungen der Gebäudeeigentümer durchgeführt. Dennoch sind die Folgen und die Qualität der Nutzung der Registerdaten unklar. Da Register zunächst ausschließlich für die Verwaltung der Bürger und nicht der statistischen Erfassung des gesellschaftlichen Zustands geschaffen wurden, erwarten die Statistiker einige Probleme bei der Nutzung der Register für einen registergestützte Erhebung. Es wird befürchtet, dass die Register nicht nur fehlerhaft und veraltet sind, sondern auch unterschiedliche Merkmale verwaltet werden.

Gesetzentwurf zum Testgesetz

Mit dem Gesetzentwurf vom 26.01.01 wird ein Testgesetz für Deutschland initiiert. In diesem wird der Probelauf eines zur normalen Volkszählung alternativen Modells, der registergestützten Auswertung, vorgeschlagen. Damit werden an einer Stichprobe in Deutschland beide Verfahren, Vollerhebung und registergestützte Erhebung, durchgeführt. Auf diese Weise soll die Fehlerhaftigkeit einer registergestützten Zählung abgeschätzt werden. Das Gesetz sieht vor, am 19. September 2001 und 31. Januar 2002 Personen zu erheben, deren Geburtstag auf 1. Januar, 15. Mai oder 1. September fällt. Ziel ist es, Mehrfachmeldungen in den Registern ausfindig zu machen. Zusätzlich werden in 570 Gemeinden Personen aus max. 38 000 Gebäuden erhoben und befragt, um zu testen, wie korrekt Personen in den Melderegistern erfasst sind. Was liegt bei einer solchen Qualitätskontrolle näher, als die Fehler in den Registern gleich zu beheben? Aber genau das soll und darf nicht geschehen.

Trennung von Verwaltung und Statistik

Die Aufgabe der Statistik ist es, genaue Zahlen über den aktuellen gesellschaftlichen Zustand zu schaffen, ohne dass damit direkte Konsequenzen für den einzelnen Bürger verbunden sind. Ganz im Gegensatz zum Staat, der die Register verwaltet, um den Zugriff auf seine Bürger zu gewährleisten. Der Datenfluss zwischen Verwaltung und Statistik darf aus diesem Grund in Deutschland nur einseitig erfolgen. So wird es aufgrund der „strikten Trennung von Statistik und Verwaltungsvollzug“ in Deutschland keinen Abgleich der Registerdaten mit Ergebnissen der Volkszählung, wie es beispielsweise in Österreich geplant ist, geben. Dennoch sind Kontrollen durch den Datenschutz und gesetzliche Regelungen notwendig, um einem “Big Brother is watching you” Empfinden vorzubeugen und somit das Vertrauen der Bürger in die Erhebung aufrecht zu erhalten.

Dazu gehört auch, auf eine Verknüpfung der Datensätze mittels einer personenbezogenen Kennziffer (PKZ) zu verzichten. Diese wird in einigen Ländern, wie Schweden, für Verwaltungsvorgänge sowie auch die Zählung genutzt. In Deutschland ist eine solche Erfassung allerdings gesetzlich verboten. In einem Interview versicherte Johann Hahlen bei einer registergestützten Zählung ohne eine Personenkennziffer auszukommen. Die Datensätze der einzelnen Register werden über bestimmte individuelle Merkmale (Hilfsmerkmale) miteinander verknüpft, um die Individualdaten zusammenzuführen und einzelne Haushalte generieren zu können. In den Häusern der statistischen Ämter werden in der Zeit nach der Volkszählung sehr detaillierte individuelle Datensätze verarbeitet, bevor die aggregierten Statistiken erstellt werden. Vielleicht sollte in dieser Zeit die statistischen Landesämter und das Bundesamtes durch private Sicherungsfirmen verstärkt vor Datenräubern beschützt werden. Dr. Rainer Metzschke (Zensusexperte des Berliner Datenschutzbeauftragten) fordert eine sofortige Löschung der Hilfsmerkmale, nachdem die Erhebungsmerkmale zusammengeführt wurden, sowie Tests der Pseudonomisierungsverfahren. Damit soll sichergestellt werden, dass es nicht möglich ist, aus den einfachen Erhebungsmerkmalen (ohne die gelöschten Hilfsmerkmale) einzelne Personen zu identifizieren.

Vorteile

Bei einem solchen Aufwand sollte auch nach den Vorteilen gefragt werden. Ein wichtiger positiver Aspekt einer registergestützten Erfassung ist die geminderte Angst der für die Zählung Verantwortlichen vor unberechenbaren, die Zählung behindernden Massenhysterien, die durch andere gesellschaftspolitische Spannungen entzündet werden. Beispiele hierzu finden sich nicht nur im Vorfeld der letzten deutschen Volkzählung 1982 bis 87, die mit dem Wechsel der Bundesregierung und dem Aufstellen der Pershingraketen politisiert wurde, sondern auch in diesem Jahr in Tschechien, wo die politische Auseinandersetzung um die Besetzung des Fernsehintendanten zu großen Problemen bei der Durchführung der Volkszählung führen.

Für die Bürger bedeutet eine registergestützte Erhebung wesentlich weniger offensichtlichen Stress, da sie einen geringeren persönlichen Anteil an dem Erfassungsaufwand haben. Das bedeutet aber nicht automatisch mehr Vertrauen der Bürger in eine registerbasierte Datenerhebung. Im Zuge der informellen Emanzipation der Bürger wird es zukünftig eine andere Diskussion geben. Dann sollte geklärt werden, welche Daten wirklich benötigt werden, um ein möglichst hohes Maß an gerechter Aufteilung der Ressourcen eines Landes oder einer Region mit einer möglichst geringen Einschränkung der informellen Selbstbestimmung der Bürger zu erreichen.

Sabine Kröger