Berufsperspektiven für Volkswirte oder Keynes im Taxi

Als ich meinen Entschluss gefasst hatte VWL zu studieren und dies einem mir bekannten BWLer erzählte, hob dieser freudig die Augenbrauen und sagte: "Das ist ja schön, dann hört man im Taxi nicht nur etwas über Nietzsche und Kant, sondern endlich auch etwas über Keynes und Friedman. Denn was anderes als Taxifahrer kann man doch mit einem so weltfremden und theoretischen Fach nicht werden."

Ich begann trotzdem mit dem VWL Studium, doch dieses mulmige Gefühl wollte nicht weichen. Selbst Kommilitonen, die kurz vor dem Examen standen, konnten mir nicht genau sagen, welchen Weg Volkswirte nach dem Studium einschlagen. Machen wir hier fünf Jahre Mathe, um dann mit den anderen Orchideenfächern in der praktischen Wirtschaft zu landen (bei Aldi an der Kasse). "Sind sie sich auch sicher, dass dies ihr optimales Güterbündel ist?" Oder ist dies alles Unsinn und Volkswirte sind in Wahrheit die besseren Betriebswirte, mit ähnlich guten Arbeitsmarktchancen? Diesen Fragen wollte ich mit diesem Artikel und der folgenden Umfrage auf den Grund gehen.

Studiensituation

Volkswirte nehmen in der großen Gruppe der Studenten der Wirtschaftswissenschaften nur einen sehr kleinen Anteil ein.

Nach Daten der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung(Arbeitsmarktabteilung des Arbeitsamtes für Akademiker) verteilten sich die Studenten der Wirtschaftswissenschaften im Wintersemester 1998/99 auf die Betriebswirtschaftslehre mit 136 932 (57%) auf die Ökonomie/ Wirtschaftswissenschaften mit 77 516 (32 %), auf die Volkswirtschaftslehre mit 21 781 (9%) und auf die Wirtschaftspädagogik mit 5 633 (etwas mehr als 2%).

In den letzten zehn Jahren kann bei den Wirtschaftswissenschaften von einem Anstieg sowohl der Absolventen als auch der Studienanfänger gesprochen werden.

Auch bei den Volkswirten kann dies beobachtet werden. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes begannen im Wintersemester 1995 2700 Studenten das Studium der VWL, zum Wintersemester 1999/2000 waren es dann schon 5700 Erstsemestler. Dieser Trend ist in sehr extremer Form an unserer Fakultät zu beobachten.

Nach Zahlen der Zentralverwaltung der HU begannen im WS 1993/1994 nur 92 Studenten das Studium der VWL, die Zahl der Erstsemester stieg kontinuierlich, um im letzten Jahr mit 242 alle Rekorde zu brechen.
Die Zahl der Erstsemester ist die eine Seite der Medaille, die andere ist die Zahl der Absolventen, denn viele beginnen VWL um später zu BWL zu wechseln oder sie brechen das Studium vorzeitig ab.

1990 gab es, nach Angaben der ZAV, bundesweit ca. 1400 Absolventen. Ein vorläufiger Rekord war im Jahr 1996 mit ca. 2300 zu verzeichnen, um dann nur zwei Jahre später auf ca. 1800 abzusinken. Dieses Niveau ist im Wesentlichen bis heute stabil geblieben. Auch in unserem Hause ist die Anzahl bestandener Abschlussprüfungen relativ konstant. Im Jahr 95/96 waren es 23, 1997/98 schon 29, 98/99 merkwürdigerweise 44 und 99/00 stabilisierte sich die Zahl auf 28 Diplomanden.

Arbeitslosigkeit

Wie eben gezeigt, steigt also nur die Anzahl der Erstsemester, während das "Angebot" an Volkswirten derzeit stagniert. Wie sieht es denn auf der Nachfrageseite, sprich den Arbeitgebern, aus? Ist diese ebenfalls konstant oder gibt es einen heimlichen Boom für Volkswirte. Ein Indikator für diese Situation ist die Arbeitslosigkeit. Dazu habe ich aus verschiedenen Quellen eine Tabelle erstellt:

Die Arbeitslosigkeit liegt zwar über der von Betriebswirten (ca. 2%), doch mit einer Quote zwischen vier und fünf Prozent bewegen sich Volkswirte im Rahmen dessen, was für Akademiker üblich ist. Außerordentlich bemerkenswert ist hingegen das rapide Absinken der arbeitslosen Berufsanfänger, nach dieser Statistik zu urteilen, musste sich im Jahr 1999 kaum ein Absolvent beim Arbeitsamt melden. Dies lässt auf eine stark gestiegene Nachfrage nach Absolventen der VWL schließen. Also vielleicht doch ein heimlicher Boom der VWL?

Jahr

Zahl der erwerbstätigen
Volkswirte

Arbeitslose Volkswirte gesamt absolut

Arbeitslose
Volkswirte
gesamt relativ1

Arbeitslose
Berufsanfänger
absolut

Anteil Berufsanfänger
unter arbeits- losen Volks- wirten (relativ)

1991

91100

1912

2,0 %

572

29,9

1992

-

3280

-

619

18,9

1993

101200

4051

4%

800

19,7

1994

-

4154

-

809

19,5

1995

-

4089

-

720

17,6

1996

99900

5055

5,05%

725

14,3

1997

-

5357

-

666

12,4

1998

-

4466

-

207

4,7

1999

-

4527

-

157

3,5

Arbeitsmarkt

Von einem Boom der VWL kann man leider trotzdem nicht sprechen, denn die "klassischen" Arbeitgeber für Volkswirte, wie: Universitäten, Ministerien, Wirtschaftsforschungsinstitute und Verbände, haben aufgrund knapper öffentlicher Kassen eher Arbeitsplätze abgebaut. Die Zahl der Stellenangebote, die explizit für Volkswirte ausgeschrieben sind, ist entsprechend überschaubar. Gerade mal knapp 1.000 Offerten liefen im vergangenen Jahr bei den Arbeitsämtern ein. Vielmehr zeugt die große Nachfrage nach jungen Volkswirten eher von einem sich erweiterten Spektrum an Einstiegsmöglichkeiten.

Nach einer Statistik von Adecco aus dem Jahr 1997, teilten sich Volkswirte folgendermaßen auf die verschiedenen Branchen auf: Hochschule/Forschung 29%, Kreditgewerbe 17%, Verbände 10%, Wirtschafts- und Personalberatung 6%, Behörden 5%, Softwarebranche 4%, Versorgungsunternehmen 4%, Versicherungen 3%, Sonstige 22%.

Die Funktionen, die Volkswirte dabei in den verschiedenen Branchen einnehmen sind ebenfalls bunt gemischt: Aus- und Weiterbildung 18%, Finanz - und Rechnungswesen 16%, Forschung 15%, Allgemeine Verwaltung/Koordination 9%, Unternehmensleitung 8%, Marketing/ Presse/ Werbung 7%, Vertrieb 5%, Sonstige 22%. Ergibt sich dieses weite Spektrum nun allein durch das erhaltene Diplom oder muss man sich diese Vielseitigkeit erarbeiten?

Arbeit in der freien Wirtschaft

Die reine Zahlenarithmetik sagt noch nicht viel über das Ansehen (und damit Berufschancen) von Volkswirten jenseits ihrer klassischen Arbeitsfelder aus.

In so mancher Personalabteilung werden VWL-Absolventen bei der Stellenplanung gar nicht erst in die Überlegungen einbezogen. Vielen gelten Diplom-Volkswirte immer noch als Theoretiker, die sich im Alltagsgeschäft eines Unternehmens nicht gut auskennen. Dies ist unverständlich, meint Dr. Sigmar Gleiser von der ZAV in Frankfurt/Main: "Es leuchtet mir nicht ein, dass die Wirtschaft sich ein Potenzial von jungen Leuten entgehen lässt, die auf Themen wie Markterschließung und -durchdringung, also auf die Globalisierung an sich, geradezu spezialisiert sind."

Eine gute theoretische Ausbildung ergänzt mit Praxiserfahrungen und Zusatzqualifikationen wie BWL, Fremdsprachen und vertieftem Computer-Know-how verhilft VWL-Absolventen, Sigmar Gleisers Ansicht nach, zu Wettbewerbsvorteilen.

Dieter Schädiger, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V., Düsseldorf, meint: "Mit mehr Praxiserfahrung und vor allem der Fähigkeit dieses Know-how auch nach außen zu demonstrieren, sehe ich auch für Volkswirte Chancen von den neuen Trends am Arbeitsmarkt zu profitieren".

Zur weiteren Schwerpunktsetzung im Studium rät der Rektor der Universität Mannheim: "An erster Stelle steht sicher die Unternehmensfinanzierung. Gefragt sind zudem Mitarbeiter, die sich im Studium auf Steuerlehre konzentriert haben. Das Steuerrecht wird schließlich immer komplizierter. Gute Chancen hat auch, wer sich im VWL-Studium auf Versicherungen und Ökologiethemen spezialisiert. Denken Sie nur an die zunehmende Bedeutung von Umweltaspekten, wenn es darum geht, den Wert eines Unternehmens zu bestimmen oder Versicherungspolicen zu kalkulieren."

Doch wird man nun nach einer vielseitigen Studienorganisation den BWLern praktisch gleichgestellt?

Ottmar Kayser, Leiter Recruting und Resourcing in der Zentralen Personalabteilung der Deutschen Bank, Frankfurt/Main: "Bei unseren Trainee-Programmen macht der Anteil der Volkswirte etwa zehn bis 15 Prozent aus. Eine scharfe Differenzierung in den Einsatzbereichen von BWLern und VWLern wird bei uns nicht vorgenommen." Da Volkswirte gewohnt seien, makroökonomisch und analytisch zu denken, seien sie jedoch besonders gut in der Research-Abteilung aufgehoben - "also in einem nicht klassischbetriebswirtschaftlichen Aufgabenfeld", schränkt Kayser ein. Zu den Einstellungskriterien meint er weiterhin: "Ein ordentliches Examen ist ein Indikator für die intellektuelle Leistungsfähigkeit." Besonders wichtig ist ihm auch interkulturelle Kompetenz: "Dabei interessieren uns nicht so sehr die Sprachkurse, die jemand gemacht hat, sondern eher, ob ein Praktikum in einem ausländischen Unternehmen geleistet wurde oder ob ein Bewerber ein Auslandssemester absolviert hat."

Verdienstmöglichkeiten für Berufsanfänger

Nach einer Studie der Vergütungsberatung Kienbaum Managment Consultants GmbH können Diplom Kaufleute mit einem Einstiegsgehalt von ca. 70000 DM rechnen, Diplom Volkswirte erhalten im Schnitt hingegen nur rund 63000 DM.

Doch nach Untersuchungen des Staufenbiel-Instituts sowie der ZAV schwanken die Einstiegsgehälter stark zwischen Industrie, Banken, Versicherungen, öffentlichem Dienst, Handel und Dienstleistungen.

Volkswirte in betriebswirtschaftlichen Aufgabenfeldern müssen laut ZAV gegenüber BWLern mit Abschlägen bis zu 300 Mark monatlich rechnen. Doch diese Differenzierung muss nicht ewig bestehen bleiben, denn Cornel von Hoegen von Kienbaum Managment Consultants meint: "Die weitere Gehaltsentwicklung ist in erster Linie von den persönlichen Leistungen abhängig und von der Position, die in den ersten fünf Berufsjahren erreicht wird. Auch die Funktion, die man im Unternehmen bekleidet, ist wichtig: Generell gilt, dass vetriebsorientierte Positionen besser bezahlt werden als nach innen gerichtete. Bei Absolventen, die einmal in die Führungsebene eines Unternehmens aufgestiegen sind, zählt auf jeden Fall nicht mehr die Art des Hochschulabschlusses, sondern ausschließlich die persönliche Leistung.

Somit muss der Witz "economists fly economy, class business man fly business class" nicht unbedingt gelten.

Fazit

Als Fazit lässt sich festhalten, dass Volkswirte gegenüber Betriebswirten keineswegs übermäßig benachteiligt sind. Vielmehr hat man ein außergewöhnlich breites Berufsspektrum. Beachten muss man das, was in jedem Fach wichtig ist: Praktika, Auslandsaufenthalt, Examensnote, Computerkenntnisse, Sprachkenntnisse und nicht zu letzt Beziehungen. Wer Volkswirtschaftslehre mag, sollte nicht ausschließlich aufgrund der scheinbar bessere Beschäftigungsmöglichkeiten zu BWL wechseln.

Ein Absolvent unserer Fakultät gab in unserer Befragung folgenden Rat: "Auch wenn der Uni-Alltag manchmal hart ist, es lohnt sich dran zu bleiben! Und wählt nicht die einfachsten Fächer, sondern orientiert Euch an Euren Interessen!"

Die Arbeitsmarktsituation ist vielleicht nicht ganz so gut wie bei BWLern, doch zum Taxifahrer muss niemand werden und so mancher ehemaliger Taxifahrer ist schon zum Außenminister aufgestiegen.

ww

Zitate aus: "Pluspunkt Praxisorientierung" Unimagazin 7/98 und junge karriere.com "Schlechtere Betriebswirte?" von Yvonne Globert