Russland ist doch nicht so weit
Zwei Kulturen zum Dialog am Tagungstisch zu animieren ist zweifellos eine schwierige Angelegenheit. Doch der Meinungsaustausch zwischen den deutschen und den russischen Jugendlichen im Rahmen eines Jugendforums in Berlin, das eine Woche (vom 17. bis zum 24. November) dauerte, war viel mehr als nur erfolgreich. Nicht nur neue Kenntnisse der politischen Lage beider Ländern, sondern auch neuentstandenen Freundschaften waren das Ergebnis einer Woche, die Studenten aus Moskau, St. Petersburg und verschiedenen deutschen Städten zusammen mit Diskutieren und Feiern verbracht haben.
Das deutsch-russische Forum, das mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Berliner Teil der Studentenorganisation AIESEC organisiert wurde, bot den jungen Russen und Deutschen die Möglichkeit, sich über Themen von politischer, gesellschaftlicher und kultureller Relevanz für beide Staaten miteinander auseinanderzusetzen. Anlass zur Durchführung der ersten Tagung, die in Berlin stattfand, war das starke Bedürfnis nach einem Forum für einen Austausch zwischen den deutschen Studenten, die mehr über Russland erfahren wollten, und Russen, die sich für Deutschland interessieren.
Der Vorteil solcher Seminare liegt eindeutig darin, dass während der vielen Gespräche Vorurteile abgebaut werden und Verständnis für das jeweils andere Volk entsteht. In der Regel werden in Deutschland nur Ausschnitte des Lebens und der Gesellschaft in Russland gezeigt, die es aus westlicher Sicht schwierig machen, die Wirklichkeit in Russland richtig einzuschätzen. Dies haben der Vertreter des Bundespresseamtes ebenso wie der Direktor des Nachrichtensenders n-tv im Rahmen der Diskussionen mit den Teilnehmern des Seminars betont. Im Allgemeinen sind die Russen weniger exotisch als es dargestellt wird.
Der
Einladung, sich mit den Jugendlichen zu treffen, folgte der ehemalige Bundeskanzler
Helmut Kohl, der immer für seine besondere Symphatie Russland gegenüber
bekannt war. Das Haus Rußland, das für Kohl mit dem gemeinsamen
Haus Europa zusammengebaut ist, soll keine Feindbilder hervorrufen,
sondern eine neue freundschaftliche Dimension in den Beziehungen zwischen zwei
Ländern schaffen, die eine sogenannte Schicksalsgemeinschaft
bilden. Einen sehr nachhaltigen Eindruck hat der Leiter der GUS-Abteilung der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Alexander Rahr, auf
alle Teilnehmer ausgeübt. Sein Buch über Wladimir Putin ist sowohl
in Deutschland als auch in Russland bereits zum Bestseller geworden. Die Begeisterung
darüber, wie viel er über Russland und die russische Politik weiß
und wie viel Wert er auf die Schaffung von Möglichkeiten der heutigen Jugend
legt, war allgemein zu spüren. Seinem Ratschlag, den Optimismus nicht zu
verlieren und viel für den Aufbau der Demokratie in Russland zu leisten,
werden die russischen Teilnehmer bestimmt folgen. Dank AIESEC und der Konrad-Adenauer-Stiftung
haben die Teilnehmer der Tagung im Rahmen des Programms die neue deutsche Hauptstadt
kennen gelernt. In keiner anderen deutschen Stadt fühlt sich ein Russe
so wohl und so zu Hause wie in Berlin. Petersburger, die in der Kollwitzstrasse
oder Unter den Linden entlang spazieren, denken sofort an die vielen alten Gebäude
vom Palmira des Nordens. Moskauer, die von den majestätischen
Häusern an der Karl-Marx-Allee oder an der Frankfurter Allee beeindruckt
werden, erinnern sich an die langen Prospekte ihrer Heimatstadt. Und kein anderes
europäisches Land kann von der Mentalität her einem Deutschen so nah
stehen wie Russland - mit seiner weiten Seele, ernsthaften Gesprächen und
melancholischen Liedern.
Am Ende des Seminars war klar, dass die Deutschen ihr Herz an Russland verloren hatten, und die Russen von der deutschen Gastfreundschaft begeistert waren. Es bleibt zu hoffen, dass die Tradition solcher Jugendforen sowohl in Deutschland als auch in Russland weiterbesteht und dass sie dazu beitragen werden, freundschaftliche Beziehungen nicht nur auf der politischen sondern auch auf der alltäglichen Ebene zu entwickeln. Vielleicht wird es in ein paar Jahrzehnten, möglich sein, dass die deutschen Politiker ihre Reden im russischen Parlament auf Russisch halten, und dass die Russen im Bundestag sich ohne Dolmetscher in perfektem Deutsch ausdrücken können.
Von Elena Stepanova, Uni St. Petersburg