Die Ökonomie der Freiheit

oder Freiheit als Fähigkeit zur autonomen Selbstgesetzgebung

Die Begründung von Traditionen erfordert im allgemeinen eine beträchtliche Zeitspanne. Beim Humboldt-Forum Wirtschaft scheint dies nicht der Fall zu sein.

Die Veranstaltung wird im zweiten Jahr von Vortragenden, Studierenden und Öffentlichkeit allgemein akzeptiert, die Organisation ist professionell und statt Minister konnte man jetz sogar den EU- Kommissionspräsidenten zum Geleitwort überreden. Konsequenterweise kann man es sich daher bereits jetzt erlauben, in dem offiziellen Programmheft von einer „Chronik“ der bisherigen Ereignisse zu sprechen. Auch die Themenauswahl zeigte eine gewisse Kontinuität: Während im letzten Jahr das Thema „Ethik“ (vgl. Hermes Nr. 19) im Vordergrund stand, wurde in diesem Jahr ein Thema gewählt, dass ebenfalls eher dem nicht-ökonomischen Bereich zugeordnet werden kann: „Freiheit“ und das auch noch ökonomisch. Das diese thematische Abgrenzung eher diffus und unklar erschien, wurde bereits im Eröffnungsvortrag von Wolfgang Thierse deutlich, der dies zusätzlich noch durch eine willentliche Fehlinterpretation verschärfte (aber immerhin unter Bezugnahme auf eine ähnliche Fehlinterpretation des Kommunistischen Manifests durch S. Hermlin wieder auflöste).

Zur Verteidigung der Schwammigkeit der Themenwahl muss allerdings angeführt werden, dass thematische Umklammerung häufig nur durch begriffliche Unklarheit ermöglicht werden kann.

Allerdings lag der thematische Schwerpunkt bei allen von mir besuchten Podiumsdiskussionen trotzdem auf einer rein funktionalistischen Betrachtung der Freiheit, während der genuine Freiheitsbegriff, der auf die Autonomie der individuellen Person bezogen ist, eher nicht thematisiert wurde. Symptomatisch ließ sich dies bereits anhand der einführenden Frage („Welches Maß an Freiheit führt in unterschiedlichen Kontexten zu den besten gesamtgesellschaftlichen Ergebnissen?“) erkennen, in der die reduktionistische Fehlinterpretation des Begriffes „Freiheit“ sehr deutlich wurde. Die Kritik dieser reduktionistischen Auffassung wurde stattdessen in den einführenden und abschließenden Reden thematisiert. Wolfgang Thierses Zitat von A. K. Sen, wonach auch in der Ökonomie Menschen von „Patienten zu Agenten ihres Lebens“ werden sollen, scheint in dieselbe Richtung zu zielen. Trotz der eindringlichen Vortragsweise überraschte Thierses Rede nicht sonderlich, da er sich mehr oder weniger an den gegenwärtigen Paradigmen Neoliberalismus, Niedergang des Sozialstaats und dem drohenden Machtverlust der Politik gegenüber der Wirtschaft entlang hangelte. Die Lösung lag für Thierse in einer Stärkung der EU, ohne dass er auf die damit entstehenden Probleme wie Demokratiedefizit und das Verhältnis zu Nicht-EU-Ländern einging. Er schloss seine Rede mit der treffenden Widerlegung der Sinnigkeit von Studiengebühren und ich anschließend mein Loch im Magen am (wie üblich üppigen) Büfett.

So gestärkt fühlte ich mich bereit für die erste Podiumsdiskussion mit dem etwas blumigen Titel „Freiheit für Antigone!“. Teilnehmer, oder besser Kombattanten, waren auf der einen Seite Prof. Blankart und auf der anderen Seite diverse Kulturschaffende aus allen Bereichen, die zunächst diverse Statements eher belangloser Art austauschten, bevor Prof. Blankart dann für eine beträchtliche Belebung dieser Diskussion sorgte, indem er seine These eines „kulturindustriellen Komplexes“ vorstellte, in dem es den einzelnen Agenten natürlich um (wie überraschend) Budgetmaximierung, Macht und Einfluss gehe. Damit erntete er wütende Proteste, die sich dann bis zu gegenseitigen Vorwürfen wie Verschwörungs- und Mafiatheorie sowie Prof. Blankarts Replik, dass autonome Kunst totalitär sei, steigerten. Eine ergebnisorientierte Diskussion war nach diesem Schlagabtausch nur noch eingeschränkt möglich, aber so war´s immerhin lustig. Und ernsthafte Diskussionen über Subventionen sind vermutlich deutlich weniger unterhaltsam.

Nach dem schmackhaften Mittags-Büfett mit interessanten Wirtschaftswunderzeit-Häppchen folgte dann allerdings ein weiteres rhetorisches Feuerwerk. Die nächste Podiumsdiskussion trug nämlich den Titel: „Effiziente Spekulation - Die Bedeutung freier Kapitalmärkte“ und die Opponenten hatten sich praktischerweise auch schon direkt links und rechts auf dem Podium sortiert, wobei der Ex-Lafontaine-Staatssekretär Dr. Flassbeck und der Vertreter des ultra-liberalen Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Dr. Nunnenkamp, besonders hervorstachen und zwar durch Beiträge wie: „Herr Dr. Nunnenkamp, Sie wissen doch selbst, dass ihre Behauptung falsch ist!“ bzw. „Herr Dr. Flassbeck, das ist doch Quatsch, was Sie da behaupten!“ Im Endeffekt haben wir während dieser Diskussion aber gelernt, dass Devisenmärkte nicht effizient sind, das es „böse“ Spekulanten gar nicht gibt, der Bundespräsident schlechte Redenschreiber hat, der IWF falsche Entscheidungen aufgrund der amerikanischen Dominanz trifft und die Tobin-Steuer als Einnahmequelle ganz nett ist, aber so gut wie keine Lenkungswirkung hat.

Dieses Momentum an rhetorischer Spannung und polemischer Dialektik konnte leider nicht in die nächste Diskussion herübergetragen werden. Hier wurde es etwas sachlicher, es ging immerhin um die Freiheit der Wissenschaft im Wissenschaftsmarkt, die sich allerdings mehr auf die finanzielle Freiheit bezog: Privatfinanzierte Drittmittelprojekte werden zwar generell als mögliche Lösung für die angespannte finanzielle Lage der Berliner Universitäten angesehen (so unser aller Rektor Prof. Mlynek), doch einzig Prof. Gesine Schwan, Rektorin der Universität Frankfurt/Oder sprach die Gefahren der privat-finanzierten Forschung deutlich an. Endgültig wurde die Begrenztheit dieser Finanzierungsmöglichkeit am unterschiedlichen Bildungsbegriff deutlich, der auf Seiten der privaten Industrie eher auf materiellen Verwertbarkeitsmöglichkeiten als Kriterien der Mittelgewährung beruhte, während der Bildungsbegriff im akademischen Rahmen auf etwas umfassenderen und langfristigen Aspekten basiert. Doch auch die Abhängigkeit von staatlichen Mitteln könne ähnliche Gefahren aufweisen, so dass als dritte innovative Finanzierungsmöglichkeit nur noch die Einrichtung einer Stiftungsuniversität (mit entsprechend unbürokratischen und kurzen Entscheidungswegen) in Frage komme.

Den Abschlussvortrag steuerte dann Prof. Stölzl, Vizepräsident des Abgeordnetenhauses Berlin bei. Prof. Stölzl Vortrag lässt sich dadurch charakterisieren, dass er offensichtlich durch die zahlreichen Musil-, Mann-, und Kleist-Zitate auf jede Interpunktion verzichten zu können glaubte. Seine „Verfertigung der Gedanken beim Reden“ war infolgedessen nicht unbedingt einfach nachzuvollziehen, aber immerhin rein vortragstechnisch innovativ. Allerdings legte sein Konzept eines „neuen Menschens“ nach Art des preußischen Bürgers, der sich durch Fleiß, Ehre, Eigenständigkeit und Leistungsbereitschaft auszeichnet, nicht unbedingt eine inhaltliche und innovative Auseinandersetzung nahe. Nach Beendigung seines Vortrags hatte man den Eindruck erst mal mit ihm zusammen tief Luftholen zu müssen, aber da war er dann auch schon längst wieder verschwunden.

Zusammenfassend lässt sich das Fazit ziehen, dass diese Veranstaltung durchaus ihre unterhaltsamen Seiten hatte, eine tatsächlich ernsthafte, am ursprünglichen Thema orientierte Diskussion eher selten stattfand (was aber aufgrund der Bandbreite auch kaum zu erwarten war) und man immerhin gelernt hat, dass Argumente wie „Das ist doch alles Quatsch“ sich ungemein professionell anhören, wenn sie durch ein wenig VWL-typisches Fachvokabular gegen fast jede Kritik immunisiert werden können.

jf