Die Geschichte der Fakultät

Es war dieser leicht gequälte Übergang zwischen dem roten Backsteinhaus und unserem Institutsgebäude, der mich am Anfang etwas verwunderte und mich rätseln ließ, wessen architektonische Glanzleistung das bitte ist. Was trieb einen Architekten denn dazu, ein Gebäude der Jahrhundertwende in diesem roten Haus enden zu lassen? Nach einem Tauchgang in die Geschichte unserer Fakultät bin ich auf des Rätsels Lösung und auf weitere interessante Details gestoßen.

Bei dem roten Backsteinhaus handelt es sich um eines der ältesten Gebäude Berlins - der Heilig-Geist-Kapelle. Erstmals 1313 als Kapelle des gleichnamigen Heiligen-Geist-Spitals erwähnt, hielt dieses Kleinod mittelalterlicher Architektur allen Widrigkeiten der Geschichte stand. Das Hospital wurde zwischen 1818-1825 abgerissen und erst 1893 erwarb schließlich die Berliner Kaufmannschaft (Vorgängerin der Industrie- und Handelskammer) das frei gewordene Grundstück in der Spandauer Straße 1, um dort eine private Handelshochschule zu errichten.

Nach den ursprünglichen Plänen sollte dafür die Heilig-Geist-Kapelle abgetragen werden und dem Neubau weichen. Dies konnte jedoch durch das beherzte Eingreifen der Berliner Bevölkerung verhindert werden. 1904 wurde deswegen ein Wettbewerb ausgeschrieben, der die Bedingung enthielt, die Kapelle zu erhalten. Die Idee des Architekturbüros Cremer & Wolffenstein, den Gegensatz zwischen der Kapelle und dem dreigeschossigen Hauptbau durch einen dazwischen geschobenen Turm zu lösen, wurde schließlich angenommen. Im Oktober 1906 waren die Bauarbeiten beendet und die Handelshochschule konnte eröffnet werden.

Neben dem volkswirtschaftlich orientierten Staatswissenschaftlichen-Statistischen Seminar der Berliner Universität etablierte sich nun unter der Leitung des Schweizer Wissenschaftlers Johann Friedrich Schär eine Hochschuleinrichtung mit betriebswirtschaftlichen Schwerpunkten. Ihr Privathochschulcharakter und die Liberalität der Berliner Kaufmannschaft ermöglichten auch Wissenschaftlern anderer Fachgebiete einen Lehrstuhl in Berlin zu übernehmen, so zum Beispiel dem Rechtswissenschaftler und späteren Innenminister der Weimarer Republik Hugo Preuß.

Nachdem die Preußische Regierung die Handelshochschule 1926 in eine wissenschaftliche Hochschule mit Rektoratsverfassung und Promotionsrecht umwandelte, entwickelte sich ein reger Austausch von Professoren, Dozenten und Studenten zwischen der Handelshochschule und dem Staatswissenschaftlichen-Statistischen Seminar. Daraufhin schlug die Berliner Verwaltung eine Zusammenlegung beider Einrichtungen zu einer wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität vor, was jedoch von Seiten der Handelshochschule abgelehnt wurde. Um das Lehrangebot zu erweitern, richtete die Handelshochschule (stattdessen) 1929 den ersten deutschen Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik ein, auf den der Nestor der deutschen Berufspädagogik, Friedrich Feld aus Frankfurt am Main, berufen wurde.

Unter den Professoren, die bis dahin an beiden Hochschulinstituten lehrten, waren viele über die Grenzen der Universität, Berlins und Deutschlands hinaus bekannt. Für seine wissenschaftlichen Gesamtleistungen erhielt der aus Russland stammende Wassily Leontieff, der 1928 am Staatswissenschaftlich-Statistischen Seminar promovierte, als erster und bisher einziger Doktorand einer Berliner Hochschule 1973 den Nobelpreis für Wirtschaft.

Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 war die Blütezeit beider wirtschaftswissenschaftlichen Hochschulinstitute vorüber. Bereits im April des gleichen Jahres wurden die ersten jüdische Professoren, Dozenten und Studenten zur Emigration gezwungen oder in Vernichtungslager deportiert. Unter ihnen befanden sich der bekannte Weltwirtschaftstheoretiker Franz Eulenberg, die Finanzwissenschaftler und Verschwörer des 20. Juli 1944 Jens Jessen und Johannes Popitz sowie die Englisch-Lektorin Mildred Fish, die wegen ihrer Mitarbeit in der Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“ als einzige amerikanische Zivilistin in der Geschichte des dritten Reichs zum Tode verurteilt wurde.

Als das Gebäude der Handelshochschule am 3. Februar 1945 bei den Luftangriffen auf Berlin durch mehrere Bomben getroffen wurde, kamen 140 Studenten und Professoren ums Leben. Auch die Räume des ehemaligen Staatswissenschaftlichen Seminars, das 1940 in ein Institut für Wirtschaftswissenschaften umgewandelt wurde, wurden fast vollständig zerstört. Nachdem beide Hochschulinstitute nach Ende des 2. Weltkrieges wiederaufgebaut wurden, begann der Vorlesungsbetrieb im Juni 1946 mit einem Zwischensemester. Am 5. August 1946 beschloss die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung der Sowjetischen Besatzungszone auf Antrag des damaligen Rektors der Universität, Prof. Dr. Johannes Stroux, die Zusammenlegung beider Wirtschaftsinstitute zu einer Kernfakultät, die mit dem Wintersemester 1946 offiziell eröffnet wurde. So kam die, 1949 in Humboldt-Universität umbenannte, Berliner Universität in den Besitz des denkmalgeschützten Komplexes in der Spandauer Straße 1 und erhielt mit der Heilig-Geist-Kapelle ihre älteste Architektur.

Zunächst als Hörsaal genutzt, ab 1968 zur Mensa degradiert, hatte die Kapelle stets einen dringenden Restaurierungsbedarf.

Wie an der gesamten Universität wurde ab 1949 auch an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ein hartnäckiger wissenschaftstheoretischer Streit gegen die zunehmende kommunistische Einflussnahme auf die Universität geführt, was Anfang der 50er Jahre die Folge hatte, dass zahlreiche bürgerlich orientierte Professoren die Humboldt-Universität verließen.

Die Hochschulreformen von 1950/51 und 1967/68 führten dabei nicht zu einer Entspannung der Lage, sondern hatten vielmehr das Ziel, den Einfluss des Staates und der SED auf Forschungsthemen, Lehrinhalte und das Lehrpersonal sicherzustellen. Zu wirklichen Umstrukturierungen kam es erst nach der Wende. Ab 1990 gehörten die Wirtschaftswissenschaften zu den fünf Sektionen, in denen sich alle wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Zuge des „Abwicklungsschluss“ neu bewerben mussten. Von 1991-1993 wurde die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät unter dem Vorsitzenden der „Struktur und Berufungskommission“ Prof. Dr. W. Krelle neu strukturiert und schließlich neu gegründet.

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