Warum ein Österreicher einen Sprachaustausch in Deutschland macht?

Wer bei seinen gelegentlichen Besuchen universitärer Bildungsstätten am „Aquarium“ auf eine handvoll unterschiedlicher Sprachen in den alltäglichen studentischen Diskussionen stößt, der kann getrost von dannen ziehen und muss sich keine Sorgen darüber machen, ob er/sie nicht vielleicht doch nach dem letzten Mallorca-Urlaub ins falsche Flugzeug gestiegen ist. Nein, unser Ballermann-Veteran ist lediglich auf eine Gruppe von Studenten gestoßen, die eines gemeinsam teilen: Sie sind berufen. Von allen Ländern der Erde brechen sie in alle Länder der Erde auf, um die Welt zu entdecken - und manche verschlägt es dann letztendlich als Austauschstudierende auch nach Berlin - berufen um sich, ihre Stammuniversitäten, ihre Länder und ihre Sitten in die Welt zu tragen und selbiges von hier wieder mit nach Hause zu nehmen.

Für viele ist es ein Semester/Jahr der intensiven (oft auch frustrierenden) Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache, wobei hier noch zu klären wäre, ob in Berlin tatsächlich noch die Rede von Deutsch ist, wo doch die Bahnsteigaufsicht in der Friedrichsstraße auf Berlinerisch ihre Ansagen verkündet und sich der Dozent in der Vorlesung gerade deutlich als Sachse geoutet hat. Wenn dann die neue Mitbewohnerin aus Bayern oder vielleicht sogar aus Schwaben kommt, ist „Berufung“ der richtige Ausdruck. Was manche nun zur Verzweiflung treibt, lässt andere wiederum völlig kalt. Deutsch lernt man nicht, Deutsch kann man einfach!

Was für manche wie ein Wort des Hohns klingen mag, ist für den Österreicher zur bitteren Wahrheit geworden. In einem unter anderem auch sprachlichen Austauschprogramm muss er sich „in der Fremde“ mit den Tücken seiner eigenen Muttersprache auseinandersetzen und herausfinden, dass sein süddeutsch-bayrisch angehauchter Dialekt doch nicht das Gelbe vom Ei ist. Was für ein Schicksal! Herauszufinden, was denn jetzt nun eine „Stulle“ ist, was man beim Bäcker bekommt, wenn man eine „Schrippe“ bestellt oder warum die Berliner systematisch den siebten Buchstaben des Alphabets ignorieren, scheint für ihn zur Lebensaufgabe zu werden und eine Möglichkeit, seine Wahl für den Studienort Berlin zu rechtfertigen und argumentieren. Für ihn bedeutet ja „jute Stube“ immer noch ein Plätzchen auf der Ofenbank, der Kachelofen nach einem langen Tag im Schnee den Rücken wärmend. Sich hier eine etwas internationalere Sichtweise und Aussprache anzueignen verdient eine intensive einsemestrige Auseinandersetzung, auch wenn sich seine Mutter bereits weigert, seine Nachricht am Anrufbeantworter abzuhören. Dieser Akzent klinge doch so falsch und unnatürlich. Soviel zu seiner Berufung!

Grundsätzlich ist es ja eigentlich ein Wunder, dass Austauschstudenten hier am Anfang ihres Studiums überhaupt was verstehen. Es reicht nicht aus, dass sich die Berliner auch über deutsche Grammatikregeln hinwegsetzen (o.k., soll ja auch die Lieblingsbeschäftigung vieler Wiener sein), nein, ein für Nicht-Eingeweihte intransparentes Vorlesungszeitensystem gibt ihnen Allen noch den Rest. Des Lateinischen Mächtige erkennen hinter den Kürzeln „c.t.“ und „s.t.“ schnell das akademische Viertel-stündchen, das sie vom Hörensagen vielleicht noch von ihrer eigenen Universität kennen. Grundsätzlich stellt das ja kein Problem dar: Wo „cum tempore“ draufsteht ist auch mehr (Frei)zeit drinnen, wenn die Handhabung doch etwas konsequenter/ transparenter/ einheitlicher wäre. Wer noch nie die akademische Viertelstunde zu früh oder zu spät zu einer Vorlesung kam, weil sich Dozenten grundsätzlich in ihrer Auslegung unterscheiden, der hebe bitte jetzt die Hand! - Sie haben‘s somit nicht leicht!

... Und genau deshalb brechen Austauschstudenten in alle Himmelsrichtungen auf, um ein Semester in der absoluten Ungewissheit zu leben, ein Semester/Jahr zu verbringen, das sich im Voraus nicht planen und einteilen lässt, das Flexibilität und vollkommene Offenheit Neuem gegenüber verlangt und die Studierenden in allen Belangen herausfordert. Ziel ist ein interkultureller Austausch mit den Menschen des Gastlandes, Eigenheiten des Kulturkreises kennen zu lernen und diese Erfahrungen mit anderen „Leidens“genossen auszutauschen. Ziel ist aber auch, das wissenschaftliche Angebot an den Gastuniversitäten zu nutzen, eigene Horizonte und Denkmuster zu erweitern, abseits von bereits bekannten Richtungen an den eigenen Unis. Tja, und wer schon einmal auf einer Internationalen Party war, der weiß, dass die Gäste feiern können, sich zu amüsieren wissen - vielleicht sogar noch mehr als ihre deutschen Kommilitonen, denn die Tatsache, dass ja effektiv nur wenige Monate Zeit sind, um alles zu sehen, zu hören, zu erleben und zu feiern, rät zur Eile. Es darf keine Zeit verloren werden, keine Kneipe übersehen und kein Club übergangen werden. Was Berlin an Kultur zu bieten hat ist ebenso auszuprobieren wie eine Fahrt mit dem 100-er Bus oder ein Besuch im Pergamon-Museum, um sich auch einmal wie ein richtiger Tourist fühlen zu können. Berlin von allen Seiten und mit allen Mitteln!

Die Kunst der Austauschstudenten ist es, in minimaler Zeit Berlin in maximalem Maße aufzusaugen und mit nach Hause zu nehmen. Und für den Österreicher heißt es endlich rauszufinden, wann er nun „ikk“ und wann „ikke“ verwenden darf.

Bernhard Ganglmair