Auslandsbericht-Prag

Wenn ich jemanden von meinem Vorhaben erzählte ein halbes Jahr in Prag zu studieren, wusste ich schon vorher welche Reaktion mich erwarten würde: „Ooh, Prag ist so eine schöne Stadt!“

Ich würde jetzt gerne die Reaktion erfahren, wenn ich den Ort zeige an dem ich wohne. Das Studentenwohnheim Koleje Otava ist zwar noch in Prag gelegen, allerdings am Stadtrand, und das im wahrsten Sinne des Wortes, nach uns kommt nur noch der Acker.

Doch das muss kein Grund sein, diese Wohnumgebung zu verlassen, als ehemaliger Bewohner Marzahns wusste ich wie Plattensiedlungen aussehen und 30 Minuten Fahrtzeit ins Zentrum sind für Berliner nichts ungewöhnliches. Dafür gibt es hier andere Vorzüge, im Komplex „Jizni Mesto“ gibt es fünf nebeneinander liegende Studentenwohnheime und jedes von ihnen fasst ungefähr 900 Studenten, so dass hier ein reges Leben herrscht. Ein Studentenwohnheim ist hier allerdings von etwas anderem Standard als in Deutschland, auf einem Zimmer von 15 qm leben zwei bis drei Studenten.

Dies zu ertragen muss einen Grund haben. Dieser lässt sich schnell und einfach finden, der tschechische Student zahlt hier 900 Kronen Miete (ungefähr 30 Euro), zwar muss ein Ausländer 2200 Kronen zahlen (75 Euro), doch ist dies im Vergleich zu Deutschland immer noch günstig.

Somit hat es fast alle meiner Sokrateskollegen hier gehalten. Diese stammen, wie es das Ziel des Sokratesprogramms ist, aus ganz Europa. Wobei die Deutschsprechenden (wie überall) die absolut dominierende Gruppe stellen. Man kann hier einen ganzen Tag verbringen ohne einmal Tschechisch oder Englisch sprechen zu müssen. Dies wird noch dadurch gesteigert, dass die Tschechen mit denen man in Kontakt kommt, oft ein unglaublich gutes Deutsch können und sich freuen dies zu praktizieren.

Was nicht gerade zum Tschechisch sprechen verleitet. Tschechisch ist trotz aller Anstrengungen keine Sprache, die einem mal so einfach zufliegt. Wenn ich Tschechen von meinem Vorhaben berichte Tschechisch zu lernen, schauen mich diese an, als würde ich versuchen mir das Dudelsack spielen allein beizubringen.

Doch so langsam bemerkt man Fortschritte. Allerdings sind die Bedienungen im Geschäft nicht sonderlich geduldig mit meinem Tschechisch, was wahrscheinlich daran liegt, dass in Prag so viele Ausländer aus Westeuropa und den USA leben. Wenn jeder von denen versuchen würde, Tschechisch zu sprechen, würde dies so lange dauern, dass man am Tag fünf Brötchen verkauft.

Die wunderschöne Altstadt, das gute und günstige Bier und die Tatsache, dass schon viele der Freunde hier sind, bringen viele junge Amerikaner dazu, für einige Zeit in Prag zu leben. Es hat sich schon eine eigene Subkultur mit seperaten Bars, Clubs und Wochenzeitungen etabliert. Besonders das Nachtleben wird von völlig freidrehenden Amerikanern dominiert. Was sich aber auch leicht durch die Preisgestaltung erklären lässt, wenn der hiesige Technoclub „ROXY“ 250 Kronen (8,5 Euro) Eintritt nimmt, wird dies für Deutsche und Amerikaner erschwinglich sein, liegt für Tschechen aber jenseits von Gut und Böse.

Das Nachtleben kann man sicherlich als gut beschreiben, lässt sich aber mit Berlin nicht wirklich messen, wenn in acht Häuserblocks sieben Kneipen sind, dann heißt das hier schon Kneipenviertel. Also, nach einer Prager Simon-Dach Straße kann man wirklich lange suchen. Dafür gibt es viele nette Restaurants, die man aufgrund des günstigen Preisniveaus öfter besucht. Ein gutes Abendessen mit Getränk kann man schon für vier Euro erhalten. Das macht es besonders schwer, meine Studienkollegen dort wieder herauszubekommen. Erst nach dem sechsten Bier sind sie dazu zu bewegen endlich heimzufahren. Doch das ist gewissermaßen auch verständlich, denn das Tschechische Pils ist für seinen Geschmack berühmt und 60 Cent für 0,5l verleiten eher zum Überkonsum.

Den Spruch „Ist das billig!“ habe ich mir allerdings schon in den ersten Wochen abgewöhnt, denn für Tschechen ist es das ganz bestimmt nicht, ein Student verdient hier knapp 2 Euro die Stunde. So langsam kommt es dazu, dass die Tschechen sich ihre eigene Stadt nicht mehr leisten können. Weil einfallende Touristenhorden im Devisenwahn selbst die astronomischsten Preise bezahlen, stellt sich die Stadtstruktur immer mehr auf die Touristen um. Die Innenstadt wird von Touristen wirklich überrannt, so was habe ich noch nicht erlebt!

Zum Vergleich, im letzten Jahr hatte Prag elf Prozent mehr Touristen als Paris und das obwohl Prag mit 1,2 Mill. Einwohnern sehr viel kleiner ist als Paris. Im Sommer soll man schon gar nicht mehr treten können vor lauter Touristen, Venedig ist dagegen eine Chill-out Zone. Nach der Moldauflut kommt die Touristenflut! Von dem Hochwasser des Sommers sieht man im Stadtbild nicht mehr allzu viel. Am augenfälligsten sind die Schäden im Metrosystem, fast 40% der Metrostationen sind immer noch gesperrt. Den Ersatz sollen Straßenbahnlinien leisten, die allerdings immer so voll sind das hier das Motto herrscht : „Einer geht noch, einer geht noch rein...“ was sich leider auf Fahrgäste und nicht auf Getränke bezieht.

Glücklicherweise ist meine Metrolinie zur Uni intakt. Ich bin meistens an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, die nah am Wenzelsplatz liegt und damit superzentral. Wenn man hier die Hörsäle betritt, glaubt man sich in verkehrten Welten, alles ist hier ganz neu, die Schmuddelräume wären bei uns Vorzeigehörsäle. Vielleicht kann uns Tschechien ja Entwicklungshilfe leisten. Doch dies ist auch nur in der sozialwissenschaftlichen Fakultät so anzutreffen, die mathematisch-physikalische Fakultät wurde von der Flut sehr schwer geschädigt. Das Lehrniveau der Kurse ist sehr unterschiedlich, es schwankt von sehr leicht bis extrem anspruchsvoll.

Bald ist mein Auslandssemester vorüber und ich habe schon das Gefühl mit Prag die perfekte Wahl getroffen zu haben. Eine atemberaubende schöne historische Altstadt, ein pulsierendes Großstadtleben in einem Land im Aufbruch, ein bezahlbares Preisniveau und sehr, sehr nette Tschechen. Doch bestimmt hat jeder das Gefühl mit seiner Gast-Uni die beste Wahl getroffen zu haben, schließlich ist der Auslandsaufenthalt eine ganz besondere Zeit.

Und das ist auch gut so: Wenn jeder zufrieden ist, befinden wir uns in einem Gleichgewicht und nichts liegt mir als Volkswirt ferner, als Gleichgewichte zu stören.

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