Interview mit Edelgard Bulmahn

Da die derzeitig angespannte Finanzlage Berlins in der Konsequenz auch die Hochschulen und damit uns alle belastet, ergriff der Hermes die Gelegenheit, ein schriftliches Interview (im Umfang von fünf Fragen) mit der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Edelgard Bulmahn, durchzuführen.

Hermes: Sehr geehrte Frau Ministerin Bulmahn, in Ihrer Regierungserklärung zur Bildungs- und Forschungspolitik vom 13. Juni 2002, einer Rede zum Thema „Bildung und Innovation“ im Deutschen Bundestag, sagten Sie: „Ein Land mit der Wirtschaftskraft Deutschlands braucht mehr exzellent ausgebildete Menschen. Mit der BAföG-Reform, der Einführung von Bildungskrediten und dem Verbot von Studiengebühren für das Erststudium sorgen wir dafür, dass alle begabten jungen Menschen studieren können - auch wenn ihnen keine goldene Kreditkarte in die Wiege gelegt wurde.“

In der Berliner Zeitung vom 26. Mai 2003 ist zu lesen: „Die Bundesregierung muss im kommenden Jahr für einen verfassungsgemäßen Haushalt eine Finanzlücke von 15 Milliarden Euro schließen. Das räumte Finanzminister Hans Eichel (SPD) am Sonntag im Deutschlandfunk ein. Daher werde es bei den Sparmaßnahmen keine Tabus geben.“

Ferner ist der Berliner Zeitung vom gleichen Tage zu entnehmen, dass der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) plant, etwa 200 Millionen Euro bei den Hochschulen zu streichen. Vor wenigen Tagen präzisierte er bereits dieses Vorhaben; so seien beispielsweise naturwissenschaftliche Fächer im Gegensatz zu geisteswissenschaftlichen Fächern in besonderem Maße förderungswürdig.

Zu diesem Thema stellt Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) in einem Interview mit dem Tagesspiegel vom 25. Mai 2003 fest, dass „Deutschland von der Forschung leben muss“ und wendet sich gegen Kürzungen der Forschungsförderung.

Zeitgleich wird die Forderung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit (SPD) nach der Einführung von Studienge- bühren kontrovers diskutiert.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich für uns Studenten der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin folgende Fragen:

Frage 1: Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung sind für Deutschland und Berlin auch weiterhin von essentieller Bedeutung im Hinblick auf die zukünftige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.

Haben die angekündigten Sparmaßnahmen Auswirkungen auf die aktuelle Hochschulpolitik der Bundesregierung? Wenn ja, welche?

Bulmahn: Deutschland braucht für seine Zukunftsfähigkeit gut ausgebildete Menschen. Dafür ist die Leistungsfähigkeit des Hochschulsystems von zentraler Bedeutung. Die Bundesregierung setzt sich neben einer exzellenten Forschung auch für bessere Studienbedingungen ein. Die Hochschulen müssen die ihnen zur Verfügung gestellten Mittel auch effizient einsetzen.

Frage 2: Der Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, Professor Jürgen Mlynek, informiert in der Universitätszeitung HUMBOLDT vom 15. Mai 2003 darüber, dass bei einem konsumtiven Staatszuschuss (ohne Hochschulmedizin) in Höhe von ca. 200 Millionen Euro im Jahr die Streichung von „nur“ 100 Millionen Euro aus dem Berliner Hochschuletat dazu führe, dass ab 2005 Lehre und Forschung in vielen Bereichen nicht mehr stattfinden könne.

Wird die Bundesregierung es zulassen, dass die Überlegung des Berliner Finanzsenators Sarrazin oder äquivalente Ansätze in den anderen Bundesländern in die Tat umgesetzt werden?

Bulmahn: Die finanzielle Ausstattung der Hochschulen ist in Deutschland ausschließlich eine Angelegenheit der Länder, die dafür auch voll verantwortlich sind. Allein beim Hochschulbau teilen sich Bund und Länder die Kosten.

Frage 3: Als Reaktion auf die angekündigten Einsparungen beschloss das Präsidium der Humboldt-Universität zu Berlin einen Einstellungsstopp für Mitarbeiter. Außerdem sprach sich der akademische Senat für einen totalen Zulassungsstopp für das Wintersemester 2003/2004 aus. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, den Hochschulstandort Berlin so auszufinanzieren, dass solche Beschlüsse nicht mehr notwendig werden?

Bulmahn: Siehe Antwort zu Frage 2.

Frage 4: Der Berliner Finanzsenator stellte im Rahmen seiner Sparvorschläge unlängst fest, dass an den Hochschulen nur die naturwissenschaftlichen Bereiche förderungswürdig seien. Im Umkehrschluss kommt dies einer Marginalisierung der Geisteswissenschaften gleich.

Handelt es sich in Ihren Augen hierbei um einen bundesweiten Trend bei der Finanzierung und Profilierung der Lehre und Forschung deutscher Hochschulen?

Bulmahn: Ich kann hier keinen bundesweiten Trend erkennen. In den Geisteswissenschaften gibt es wie in den Naturwissenschaften auch in Deutschland ausgezeichnete Universitäten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Hochschulen sollten künftig aber stärker selbst ein eigenständiges Profil und Schwerpunkte entwickeln können. Das kann auch bedeuten, dass nicht jede Universität ein so reiches Fächerspektrum anbietet.

Frage 5: Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Wowereit, fordert im Gegensatz zu Ihnen die Einführung von Studiengebühren. Der stellvertretende Landesvorsitzende der SPD, Herr Andreas Matthae erklärt im Interview mit der Berliner Zeitung vom 27. Mai 2003 zur Frage, wie Berlin wieder handlungsfähig zu machen sei: „Beispiel Studiengebühren. Klaus Wowereit ist dafür - unklar bleibt aber, was für ein Modell er will, was er für realistisch hält. Er zerschlägt die alte Struktur, ohne zu sagen, wie die neue aussehen soll.“ Im selben Interview lehnt er Herrn Sarrazins Pläne zur Einführung von Studiengebühren als falsch ab.

Wir bitten Sie an dieser Stelle stellvertretend für die Studenten Berlins um ein klärendes Wort darüber, wie Sie über Studiengebühren denken.

Bulmahn: Studiengebühren belasten die Familien zusätzlich und schrecken Studierwillige ab. Die Bundesregierung fördert die Familien und will mehr junge Menschen für ein Studium motivieren. Gerade ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist auf eine breit und gut ausgebildete Bevölkerung und ihre Ideen angewiesen. Deswegen habe ich mit der Reform des Hochschulrahmengesetzes auch die Gebührenfreiheit für das Erststudium festgeschrieben. Eltern und Studierende brauchen Verlässlichkeit durch bundeseinheitliche Regelungen. Mit dem kostbaren Gut des Studiums muss allerdings verantwortlich umgegangen werden. Deswegen ist es den Ländern frei gestellt, von Langzeitstudierenden Gebühren zu erheben. Wer aber glaubt, mit Studiengebühren die Finanzprobleme der Hochschulen lösen zu können, befindet sich auf dem Irrweg. Denn die Einnahmen verschwinden im Etat des Finanzministers.

Sehr geehrte Frau Ministerin, wir danken Ihnen für das Interview.

Angesichts der erhaltenen Antworten fragte der Hermes noch einmal genauer nach. Herr Florian Frank, stellvertretender Pressesprecher des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, antwortete uns.

Frage 1.1: Wo genau sehen Sie Möglichkeiten für Hochschulen, Mittel effizienter einzusetzen?

Frank: Was den effizienten Einsatz von Mitteln durch die Hochschulen angeht, so gibt es dazu viele verschiedene Vorstellungen. Durch die Reform des Hochschulrahmengesetzes und die Einführung der Juniorprofessur hat die Bundesregierung aber die Möglichkeit geschaffen, Lehrende stärker leistungsbezogen zu besolden. Dies wird sich positiv auf die Studienbedingungen auswirken und auf den Einsatz der vorhandenen Mittel.

Frage 3.1: Wenn sich die Bundesregierung „für bessere Studienbedingungen“ einsetzt (siehe Antwort 1), müsste sie nicht genau jetzt eingreifen? Anders gefragt: Ist es überhaupt noch zeitgemäß, dass Bildung Ländersache und nicht Angelegenheit des Bundes ist?

Frank: Das Thema der Hochschulfinanzierung wird im Rahmen der Förderalismusreform zwischen Bund und Ländern mit verhandelt. Bundesministerin Bulmahn möchte unter anderem erreichen, dass es dem Bund freigestellt wird, Hochschulen auch ohne Rücksprache mit den Ländern finanziell für besondere Leistungen zu unterstützen. Derzeit ist dies aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.

thu