Perspektiven eines Bauches

Unisport

Einige von uns kennen dieses Problem oder werden es unweigerlich noch erleben: Der Sommer ist da und unter dem T-Shirt oder Top, nicht länger durch einen schützenden Pullover getarnt, macht sich unser Bauch daran, mehr Bedeutung anzustreben - sein Ruf nach Freiheit wird unübersehbar.

Morgens durch einen Kaffee wachgeschreckt, wird er tagsüber nur sporadisch, dann aber fett- und/ oder schokoladetriefend beruhigt. In Vorlesungen kauert er sich zusammen, um aufmerksamkeitsfördernde Positionen, wie zum Beispiel das Liegen auf stets schreibbereiten und nur scheinbar ruhend verschränkten Armen zu ermöglichen. Und selbstverständlich muss er stets der strikten Anweisung Folge leisten, sich bei möglichem Sichtkontakt durch andere zurückzuziehen. Zusätzlich durch Alltagsunwegbarkeiten gereizt, beschließt unser Bauch also, dass das ewige Versteckspiel ein Ende haben sollte.

Vor ein solches Problem gestellt, ergeben sich interessante persönlichkeitsabhängige Reaktionsvarianten für die Betroffenen. Die Stoiker unter uns tun einfach nichts, lassen der Natur freien Lauf und befassen sich mit weitaus wichtigeren Aspekten des Lebens. Recht haben sie. Alle anderen haben noch einen langen und beschwerlichen Weg zu dieser Erkenntnis vor sich. Die Gesundheitsapostel etwa, die plötzlich auf drastische Weise zu der Einsicht gelangen, dass alleiniges Predigen von gesunder Ernährung wohl doch nicht ausreicht. Oder die Hoffnungsvollen, die nicht müde wurden, sich selbst zu bestätigen, dass ein solcher Umstand sie schon aus rein vererbungsbedingten Gründen nie, aber auch nie betreffen würde. Reizvoll sind aber auch die (Bauch-) Ansätze der Nihilisten, die seine Existenz schlicht negieren oder jener, die dem Relativismus anhängen: „Na sooo groß ist er ja noch nicht. Was ist denn überhaupt groß?“

Während die einen sich also in Gedankenkonstrukten verlieren, handeln die anderen entschlossen. Abhilfe versprechen all‘ die verlockenden Angebote des Unisportes. Neben ausgesprochenen Entdeckungen, wie den Gesellschaftstanzkursen oder dem brasilianischen Kampftanz Capoeira, bietet sich vor allem das „Fitnessgerätetraining“ in der Linienstraße an. Im Hinterhof eines Hinterhofes führen einige Stufen in das Mekka aller Fitnessjünger. Der Besucher wird sofort beim Betreten der heiligen Hallen vom besonderen Ambiente gefangengenommen. Der Geruch, der von transpirierenden Kraftsportlern ausgeht, gepaart mit viel „Rocky“-Flair, übt eine ganz eigene Faszination auf den Lernwilligen aus.

Sobald man die äußerst faire Teilnahmegebühr entrichtet hat (ca. 30 Euro pro Semester), ist es einem erlaubt, das Training aufzunehmen. Für Novizen bietet sich zunächst der Anfängerkurs an, in dem Verletzungsgefahren und richtiger Umgang mit den Geräten und vor allem mit dem eigenen Körper, Bauch inklusive, thematisiert werden. Auf Wunsch servieren die netten und kompetenten Damen und Herren von der Bar auch persönliche Ernährungs- und Trainingspläne, um unserer zentralen Problemzone beizukommen. Und dann geht es los.

Mindestens zweimal pro Woche setzen sich dann Bauch und Bauch-in-der-Gegend-herum-Träger miteinander auseinander. Allerlei Foltergeräte stehen dazu zur Verfügung. Das Durchhalten wird mit raschen Resultaten belohnt, hält man sich vertrauensvoll an die entbehrungsreichen Pläne. Man entdeckt an sich zuweilen sogar masochistische Züge. Es lebe der Sport! Wird man sich dieses durchaus Grund zur Besorgnis bereitenden Umstandes gewahr, fängt man an, seine Leidensgenossen zu beobachten. Imposante, sonnenbankgeschädigte Hybriden aus Mensch und Muskeln sind ebenso zu bestaunen wie blasse, eher schmächtige Personen. Allen sind hochrote Köpfe und ein zu allem entschlossener Blick gemein. Es ist schon erstaunlich, welche urzeitlich anmutenden Laute so mancher beim Bewegen irrwitziger Gewichte erklingen lassen kann. Mit der Zeit verfliegt beim Beobachter so der feste Vorsatz, sich zu schinden. Es erscheint bizarr, zu welcher Figur es echte Bodybuilder bringen. Erstaunlicherweise haben auch sie hervorstehende Bäuche - hervorgerufen durch ihre Muskelberge.

„Das geht auch leichter“, denkt man sich, streichelt versöhnlich seinen Bauch und verlässt das Studio ohne einen Blick zurück.

thu