Mensazoten


Sicherlich werdet ihr schon festgestellt haben, dass das Durchschnittsalter der Mensa-Besucher seit einigen Wochen wieder drastisch gesunken ist. Das liegt vor allem daran, dass sich das Gros der Bauarbeiter zum nächsten Großprojekt begeben hat und nicht mehr unter uns weilt. Nur die Restauratoren bemühen sich noch um die Wiederherstellung der Heilig-Geist-Kapelle, dem ältesten sakralen Gebäude unserer Stadt. Kurz vor ihrer Abreise nutzte der Hermes noch die Chance, die fleißigen Arbeiter von nebenan, die unserer Mensa zu einem unerwarteten wirtschaftlichen Aufschwung verhalfen, näher kennen zu lernen.

Dienstags, halb zehn in Deutschland, gingen wir auf die Pirsch. Während sich die Studenten in Vorlesungen befanden oder sich noch zu Hause vom letzten Alkoholekzess erholten, war die Mensa fest in Bauarbeiterhand. Von skeptischen Blicken verfolgt, näherten wir uns zwei Exemplaren dieser Gattung:

Michael, der auch „Langer“ genannt wird, und Frank sind unsere ersten Kandidaten. Sie entpuppten sich als Heizungsbauarbeiter, die nach verrichteter Arbeit gern mit einem Kindl anstoßen. Dann sinnieren sie darüber, ob sie nicht BWL und Jura studieren sollten, doch „dafür braucht man ja erst einmal ein Abitur“. Na dann, Prost. Die Mensa stellt für sie eine gute Nahrungsquelle dar, da sie ein gutes Preis- Leitungs-Verhältnis habe, auch wenn die Qualität noch besser werden könnte.

Aus den spärlichen Kontakten mit der Spezies der Studenten, mit denen sie sich das Territorium teilen müssen, haben sich zwei grundsätzliche Erkenntnisse ergeben:

1. Studenten haben zwei linke Hände und sind wenig praxisorientiert.

2. Studentinnen sind lecker.

Ebenso lecker sind die Arbeitsunfälle. Michael hat sich schon mal ins Bein geflext und Frank ist eine Heizung auf die Finger gesaust.

Weitere Einblicke in die Welt des Handwerks gab‘s am nächsten Tisch: Das beste Deutsch sprach der Türke Mohammed, den alle bloß Ali nennen und der sogar Übersetzer spielen wollte für seinen polnischen Freund. Völkerverständigung, ohne deutsche Beteiligung. Die beiden Schlosser hatten noch keine großen Arbeitsunfälle. Außer, dass sie sich einschließen oder ihnen ein Schlüssel auf den Fuß fällt, kann ja auch nicht viel passieren. Für seine Gattung ganz und gar ungewöhnlich bescheiden und scheu, meinte Ali, für ein Studium nicht fähig zu sein, würde aber mit den nötigen Voraussetzungen gerne Maschinenbau studieren. Die Mensa kommt ihren natürlichen Ernährungsgewohnheiten sehr entgegen, vor allem weil das Preis-Leistungs-Verhältnis fair sei. Alkohol trinken sie keinen, so dass sie keine Entzugserscheinungen befürchten müssen. Auch Ali glaubt, bereits einiges über seine Mit-Mensa-Nutzer herausgefunden zu haben: Studenten haben zwei linke Hände. „Ich hab Angst, dass, wenn ich ihnen einen Hammer gebe, diesen später im Hinterkopf habe.“

Wir verlegten unseren Beobachtungsposten dann zu den Rudelführern.

Die zwei Alpha-Wölfe, Bauleiter Micha und Mischa, fühlen sich natürlich als etwas Besonderes. Angesprochen auf Studenten prägte sich sofort das typische Revierverteidigungsverhalten aus: Das Mensaessen finden sie gut, nur billiger könnte es sein, und ohne die ganzen weltverbesserischen und diskussionsfreudigen Studenten, die oft nicht wüssten, was sie wollen, wäre es auch noch besser, „aber die kann man ja nicht rausschmeißen!“ Na dann, Prost mit Bockbier.

Um ihre Führungsposition weiter auszubauen, würde sich ein Germanistik- oder Jurastudium anbieten, womit die Grundvoraussetzung für den „nicht-wissenden“ Studenten erfüllt wäre. Aufgrund ihrer Machtposition sind sie von Arbeitsunfällen bisher verschont geblieben.

Elfried saß abgeschottet im Aquarium und las Zeitung. Ein Einzelgänger? Ja, denn als Landschafts- und Gartenbauarbeiter liebt er die Natur und präsentierte sich recht einsilbig. Zu Studenten kann er nur „Wat soll ick dazu sagen?“ sagen. Sein schlimmster Unfall war ein umgeknicktes Bein, vermutlich beim Rosen schneiden. Flüssignahrung wird bevorzugt in Form von Warsteiner zu sich genommen, an fester Nahrung steht die Mensa bei ihm ganz hoch im Kurs. Studieren würde er, wenn er denn könnte, auch Gartenbau. Da hat wohl jemand seinen Traumjob gefunden.

Eine andere Spezies, der wir aufgelauert haben, waren die Restauratoren der Heilig-Geist-Kapelle. Nachdem gegen zehn Uhr die Mensa wieder bauarbeiterfreie Zone war, trauten sich die ersten Exemplare ins Revier. Eindeutig geselliger als die bereits beschriebene Gattung der Bauarbeiter, saßen sie zu viert, fröhlich kommunizierend, am Tisch und frühstückten.

Mutig, wie wir waren, gesellten wir uns hinzu und nahmen Kontakt auf.

Martin ist kinderlos verheiratet und kommt aus Sachsen. Eindeutig anspruchsvoller als die „Männer für‘s Grobe“ fand er die Frühstücksbrötchen okay, den Rest allerdings „doof“. Das Fleisch sei zu labbrig und das Gemüse zu durchgekocht. Aber immerhin sei der Kaffee gut, bemerkte er fast nebenbei. Philosophisch und voller Weisheit beantwortete er uns die Frage, was für ihn Studenten seien: „Menschen“. Schließlich hat er während seiner Ausbildung auch sakrale Kunst studiert. Sein Lieblingsbier ist Hefeweizen.

Christian kommt aus Berlin und rettet die Restauratoren in die nächste Generation indem er bereits viele Kinder gezeugt hat: Biologischer Auftrag erfüllt! Verheiratet ist er allerdings noch nicht - ein Anzeichen von Bindungsangst?! Eher nicht, denn neugierig nimmt er seine Umgebung war und konnte feststellen, dass die Studentinnen sehr eifrig und hübsch sind. Wie sein Kollege besitzt auch er ausgeprägte Züge eines Feinschmeckers, denn das Essen findet er einfach nur schlecht. Als ehemaliger Student der Publizistik und Theaterwissenschaften ist er es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen und scheint somit prädestiniert, auf der Baustelle „für alles“ zuständig zu sein. Sein Lieblingsbier ist Füstenberg.

Eine weibliche Vertreterin der Gattung „Restaurator“ ist Silvia aus Hessen. Die Gute ist privat noch Einzelgängerin. Auch sie stellt hohe Ansprüche an die Nahrungsquelle und findet in logischer Konsequenz die angebotenen Speisen ärmlich. Mit klarem Hang zu Gemütlichkeit und Wohlbehagen ist ihr die Location zu „verraucht, kalt und laut“. Um sich gegen die männliche Dominanz vor Ort zu profilieren, neigt die gemeine Restauratorin zu Feminismus: Zu Studenten fällt ihr fast nichts ein, außer, dass sie wichtig sind. Studentinnen sind natürlich noch wichtiger!

Die studierte Pharmazeutin trägt nunmehr zur Genesung einiger hundert Jahre alter Gebäude bei und ist vor allem mit der Freilegung der Fresken betraut.

Last but not least kommt die US-Amerikanerin Vanessa zu Wort. Wie Silvia ist sie glückliche Single-Frau, und das, obwohl sie gerne Hefeweizen trinkt. Studiert hat sie Kunstgeschichte, oder das, was man in Amerika darunter versteht. Ihre Aufgabe ist die Freilegung und Retuschierung.

Die Versorgung mir Nahrhaftem hat bei ihr erste Priorität und so bringt sie sich mangels wohlschmeckender Menüs ihr Essen immer selbst mit. Doch zum Trost für alle armen Studenten, die noch immer in der Mensa speisen: Laut Vanessa ist das Essen auf der Museumsinsel noch schlechter.

Getroffen von dieser Erkenntnis beendeten wir unseren Streifzug durch die Mensa, kehrten ihren faszinierenden Besuchern vorerst den Rücken und wendeten uns wieder der Erforschung der Wirtschaftwissenschaften zu.