Beruf: Beratender Volkswirt

So wie sich jeder Architekt nach dem Studium freiberuflich selbstständig machen kann, kann sich auch der Betriebs- oder Volkswirt als beratender Betriebs- bzw. Volkswirt freiberuflich niederlassen. Einzig eine Anmeldung beim zuständigen Finanzamt ist nötig, und schon ist der neue Visitenkartenzusatz fertig. Der Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus, dass sowohl der Architekt als auch der Wirtschaftswissenschaftler im Studium genug gelernt hat, um auf die Menschheit losgelassen zu werden. Ja, und um der Wahrheit dieser These auf den Grund zu gehen, habe ich mich, wie der eine oder die andere weiß, als „Beratender Volkswirt“ niedergelassen.

Aber wie kam es zu dieser Entscheidung? Nach dem Studium wollte ich in die Richtung Existenzgründungen gehen. Da ich 1999, noch zu guten New-Economy-Zeiten, Blut geleckt hatte und einen Businessplan geschrieben hatte (der leider erst fertig war, als es mit der Economy schon abwärts ging), wählte ich in meinem Studium Entrepreneurship. Als Berufsmöglichkeiten hatte ich mir vorgestellt, in diesem Bereich wissenschaftlich tätig zu sein, als Startup-Gründer erfolgreich zu sein, als Investment-Manager Venture Capital zu verteilen oder aufstrebende Gründer als Berater zu betreuen.

Nach dem Diplom stellte sich schnell Ernüchterung ein. Die wissenschaftliche Karriere brach weg, weil ich keine ausfinanzierte Stelle bekam. Die Venture Capitalists schmissen neuerdings nicht mehr mit Geld um sich sondern höchstens noch ihre Leute raus. Deswegen war die Gründung eines Startups auch in weite Ferne gerückt. Und die Berater, denen plötzlich unter den Händen die Kunden wegstarben, stellten auch nicht mehr ein.

Also ging ich den Weg über ein Praktikum beim ExistenzGründer-Institut Berlin e.V., einen Gründungsförderverein mit Schwerpunkt Technologieunternehmen. Von dort hoffte ich, in die Szene vorzustoßen oder beim Institut selbst einen Job zu ergattern. Nützliche Kontakte konnte ich nicht herstellen und inzwischen sind im ExistenzGründer-Institut selbst auch zwei von drei festen Stellen gekürzt worden. Aber manchmal zahlen sich ja Netzwerke auf überraschende Weise aus. Ein Freund und Partykumpel von mir hatte eine kleine Softwarebude, die größer werden sollte. Er hatte über fünf Jahre an einer Videokonferenzlösung programmiert, die nun marktreif war und glücklicherweise genau jetzt einen Markt vorfand, der geradezu nach seiner Lösung schrie. Jedenfalls war die Software so gut, dass ein Business Angel Geld investieren wollte und dafür brauchte diese Firma einen Businessplan. Er war sowohl zeitlich als auch von den Kenntnissen her überfordert und kam auf mich zurück. So kam es, dass ich den Businessplan für die daViKo schrieb und als Leiter Marketing und Vertrieb (natürlich ohne Mitarbeiter) eingestellt wurde. Die Verkäufe liefen nicht gut, aber der Businessplan war gut genug, dass die Preisgelder meine Stelle finanzierten und so wurde ich nicht nach drei Monaten wieder gefeuert. Aber interne Konflikte über Führungsstil und Firmenstrategie ebenso wie persönliche Animositäten brachten mich dazu, mich nach Alternativen umzuschauen.

Diese boten sich mir auch in Form eines befreundeten Steuerberaters, der Geschäftspläne für kleine und mittelständische Unternehmen brauchte sowie jemanden, der Ideen weiterentwickeln konnte. Also kündigte ich Hals über Kopf meine sichere Stelle mit Perspektive aber ohne Zukunft für mich und wurde selbstständig.

Wie das aber immer so ist, läuft nichts auf Anhieb glatt. Ich hatte ehrlicherweise auch nicht erwartet, gleich erfolgreich zu sein, dass der Weg aber so steinig sein würde, hat mich doch überrascht. Denn mit dem Abschwung der Wirtschaft fielen auch viele Kunden aus. Die hatten kein Geld oder keine Pläne für die Zukunft, waren nicht kreditwürdig oder hatten keine realisierbaren Ideen. Zusätzlich fielen auch einige Beratungssubventionen aus, mit denen wir fest gerechnet hatten.

Aber es gab auch großartige Projekte, die auf Anhieb wie eine Bombe eingeschlagen wären. Womit wir allerdings nicht gerechnet hatten, war, dass die meisten Projektbetreiber Abzocker, Betrüger oder Aufschneider waren, die mit diesen schönen Ideen zu unseren Mandanten kamen. Wir mussten uns also als Minensucher betätigen und die Lücken in den Projekten finden. Da wir immer solche Lücken fanden, wurden die Projekte abgesagt und für uns blieb unterm Strich nichts übrig als Ruhm und Ehre und eine kleine Aufwandsentschädigung. Das große Geld blieb aus.

Langsam spielt sich aber die Beratungsschiene ein, kleine Aufträge für Chinarestaurants und Zoohandlungen bringen einen kontinuierlichen Geldfluss, der zwar nicht umwerfend ist, aber meine einfachen Bedürfnisse befriedigt. Und nebenbei verfolgen wir (inzwischen zusätzlich zum Steuerberater mit einem erfahrenen IT-Berater) weiterhin unsere Großprojekte und warten, dass sich dort etwas tut.

Fazit

Alles in Allem stellt sich also die Frage: Was hat es mir gebracht, mich selbständig zu machen? Nicht viel Geld, aber ich habe meine Seele nicht verkauft, bin frei und sehe eine Zukunft für mich. Ich denke auch, dass ich Licht am Ende des Tunnels sehe (und das nicht der entgegenkommende Zug ist), denn nach einer 13-monatigen Durststrecke habe ich jetzt endlich genug Aufträge für die nächsten Monate beisammen und ein erstes Jobangebot in einer Smartcard-Firma, falls meine Beratungsschiene nicht klappt.

Dietmar Fischer