Ecole Normale Supérieure

Auslandssemester - verstehe plötzlich die Ausländer, und versuche mühsam die Kultur des anderen Landes zu begreifen, das heißt sechs Monate Zeit, der Grande Nation auf den Grund zu gehen.

Bei Ankunft am ersten Tag auf dem Campus ziehe ich in mein Kabuffchen der CROUS. Das birgt elementare Vorteile im Vergleich zu einer Wohnung, so hoffe ich. Es ist billiger, direkt am Campus, dem Ort des studentischen Lebens und man verweilt in multikultureller Gesellschaft: Da sind die Italiener, die nachmittags um fünf noch im Schlafanzug sitzen, Irländerinnen, die mich unter den Tisch trinken, Tschechinnen, die es in allen Größen und Haarfarben gibt, Italienerinnen, von denen ich erwarte, Pasta kochen zu lernen (Honi soi qui mal y pense.) und natürlich Französinnen, von denen ich nichts weiter erwarte, als Französisch zu lernen.

Doch zeigen sich mir auch die Schattenseiten: kleines Zimmer (9qm inklusive Dusche und WC) und Herumschlagen mit französischer Bürokratie. Das läuft wie folgt: Portier: „Kann ich nicht entscheiden, fragen Sie den Hausmeister.“ Dieser: „Weiß nicht, fragen Sie im Büro.“ Dort: „Die Chefin entscheidet.“ Diese: „Keine Ahnung, fragen Sie die Direktorin“. Eine schnelle Antwort erwarte ich bereits in zwei Monaten. Also widme ich mich meinem Studium. Das Studium der Grande Ecole erinnert mich an frühere Schulzeiten. Ja, die alte Zeit, nur sind die Lehrerinnen viel jünger geworden, oder bin ich so gealtert? Nach eifrigem Studium ruhe ich mich in meinem Kabuffchen aus und höre Radio. Denn verärgert stelle ich fest: Der Fernseher geht nicht. Er unterstützt kein Secam, also umsonst die Kiste aus Berlin mitgeschleppt. Abends stürze ich mich ins Pariser Nachtleben. Den Eintritt in die Clubs bekomme ich kostenlos, da ich in der Gästeliste eingeschrieben bin. Nur 2 € für die Garderobe bleche ich (pro abgegebenes Kleidungsstück versteht sich. Also Mädels: Lasst eure Handtasche und Anhängsel zu Hause.) Umso mehr wundere ich mich, dass die anderen in Schlange anstehen und so bereitwillig die 20€ Eintritt berappen. Nachdem ich vom Techno und französischen Chansons bald genug habe, verpasse ich den Nachtbus. Der nächste kommt frühestens in einer Stunde, also laufe ich, umschiffe Absperrungen und winke Chirac bei seiner nächtlichen Tour durch Paris zu. Er winkt nicht zurück. Im Kabuff angelangt falle ich ins Bett. Später Nachmittag: Ich falle aus dem Bett, sitze bis fünf im Schlafanzug. So ist also das Pariser Leben. Ein guter Anfang, denke ich mir.

Sebastian Ille