Ein Tag in Jönköping

Huh, jetzt aber schnell. Der Bus zur Uni geht in sechs Minuten. Also den Rucksack geschnappt, Wowa, Diego und Siva einen schönen Tag gewünscht: „Poka, até logo, und see ya”, denn Telugu oder Hindi kann ich mir einfach nicht merken, und dann los.

Glück gehabt, es ist noch ein Sitzplatz frei. Jetzt habe ich zwanzig Minuten, um aufzuwachen. Kann es sein, dass der Bus sich dreht oder ist das mein Kopf? War aber lustig gestern. Nach der Pre-Party und der eigentlichen Party gab es noch eine private Party nach der Party, weil hier in Schweden die Clubs fast überall um Punkt zwei die Musik aus- und das Licht anmachen und die Leute höflich, aber bestimmt hinausbitten.

Fürsorge

Bushaltestelle. Ein Mädchen in einem grünen Overall mit vielen bunten Flicken setzt sich neben mich. Diese albernen Overalls tragen die Mitglieder der diversen Studentenvereinigungen hier. Aber so komisch sie damit aussehen, sie kümmern sich sehr um ihre Mitstudenten.

Eine grandiose Einführungswoche, gekrönt von einer Feier in einem komplett gemieteten Spaßbad, viele Kurztrips, Konzerte, Feiern, Eishockeybesuche und internationale Kochwettbewerbe haben sie für uns organisiert. Danke dafür. Überhaupt kümmert sich die Uni sehr um ihre Studenten. Auch die Freundlichkeit der Leute auf der Straße ist schon fast befremdlich, besonders für einen waschechten Berliner, der gern ein wenig muffelig, wenn auch nicht herzlos ist.

Die Uni

So, endlich angekommen. Jetzt sind es nur noch drei Minuten zu Fuß zur Jönköping International Business School, kurz JIBS.

Sie liegt zusammen mit den Fakultäten für Ingenieurwissenschaften, Pädagogik und Kommunikation sowie Gesundheit direkt an einem kleinen See. Nicht weit von hier konnten wir im Sommer auch im zweitgrößten See Schwedens baden gehen.

Inzwischen ist es aber kalt geworden, wir haben schon Schneemänner gebaut und gefroren. Es war zwar wieder etwas über Null Grad, aber ganz schön windig, und deshalb nichts wie rein in die Uni. Übersichtlich ist sie, die JIBS. Es gibt viele kleine Räume von der Größe unseres Hundertfünfundzwanzigers. Dafür ist die Uni top ausgestattet. Es gibt immer einen freien Platz an einem der zahlreichen Computer oder in einem der Gruppenräume.

Dort trifft man sich, um mal wieder eine Gruppenarbeit anzufertigen. „Gruppenarbeit“ ist hier überhaupt das Stichwort, selbst beim Unterrichten.

Arbeitsaufwand

Warum einige Professoren hier so auf Wandzeitungen stehen, ist mir schleierhaft. Fragwürdiger ist allerdings noch der erwartete allgemeine Arbeitsaufwand.

Fast permanent schreibt man an einer Fallstudie (Entschuldigung an alle, die jetzt zusammengezuckt sind: „…schreibt man an einem Case…“), während man ein größeres Projekt beackert und obendrein noch mündliche Prüfungen hat und irgendwelche Paper zu verfassen und viel zu lesen hat.

Deshalb begibt man sich schon mal an einem Sonntag Nachmittag in die Uni, um zu arbeiten. Reine Gewöhnungssache. Allgemein herrscht eher Schulatmosphäre. Mitarbeit wird benotet und Anwesenheit ist im Prinzip Pflicht.

Dafür gibt es öfter interessante Gastvorträge von Managern oder Professoren aus fernen Ländern wie Malaysia oder Südafrika.

Studentenleben

Auf der Treppe hoch zur Vorlesung sehe ich wieder in die Socken oder wahlweise in die Schuhe gesteckte Hosen, neben den ultra-gestylten Frisuren fester Bestandteil schwedischen Modebewusstseins.

Abgefahren sind auch die Ausgeh-Outfits, die nachts zu bestaunen sind. Overdressed gibt es in Schweden nicht. Abgesehen von der Mode ist Jönköping aber schon eine echte Kleinstadt, manchmal zu klein für Großstädter wie mich.

Neben Besuchen von Göteborg, Stockholm und Kopenhagen bietet aber besonders eine Woche in Kiruna, nördlich es Polarkreises, eine aufregende Abwechslung.

Dort kann man mit Schlittenhunden und Schneescootern fahren, in einem Hotel komplett aus Eis und Schnee übernachten, das Polarlicht sehen und sogar eine Walsafari mitmachen. Das wird das I-Tüpfelchen auf unserem Semester hier.

Mitmenschen

Nach der Uni geht’s noch zum System Bolaget (Kenner könnten verleitet sein, zu schmunzeln) und dann zurück nach Råslätt. Råslätt ist übrigens eindeutig die beste Wahl unter den vier Studentenwohngegenden. Es ist am billigsten, hier wohnen nur Studenten zusammen und es gibt Poolbillard, Tischfußball, Tischtennis, Widescreen-Fernseher für Kinoabende und sogar eine Sauna für lau. Findige Studenten können sogar per WLAN surfen, vorausgesetzt, ihr schwedischer Nachbar erlaubt es ihnen. Und bei Mitbewohnern aus Russland, Brasilien und Indien und all den anderen ist immer etwas los. Nächtliche unbekleidete Flitzer US-amerikanischer Herkunft, merkwürdige kasachische Geschichten, noch seltsamere Geschichten aus Kamerun, südkoreanische Münz-Trinkspiele, und all die gewonnenen Freunde werden mir fehlen.

thu