Die Botschaft aus Kolumbien

"Reise unbedingt nach Kolumbien, das schönste und freundlichste Land in Südamerika", gab mir ein abreisender Schweizer Rucksackler mit auf den Weg, als ich noch etwas verschüchtert und ahnungslos in Buenos Aires ankam, um 10 Monate durch Südamerika zu reisen.
Ausgerechnet Kolumbien, schon der Gedanke, dieses Land auf dem Weg nach Zentralamerika durchqueren zu müssen, verursachte mir leichte Schauder. Von den Drogenhändlern erschossen oder der Guerilla entführt zu werden, meine von den üblichen Nachrichten gespeiste Phantasie war grenzenlos. Ja selbst ein Eigentor kann dort zu härtesten Konsequenzen führen.

Nun, mittlerweile 8 Monate später stand ich an der kolumbianischen Grenze. In den letzten Monaten hatte ich die verschiedensten Länder bereist, fremde Kulturen für mich entdeckt, viele neue Freunde kennengelernt, hatte straßentaugliches Spanisch, hüfteschwingendes Tanzen und überlebenswichtiges Feilschen gelernt, hatte Beinbruch, Durch- und Überfälle unbeschwert überstanden.
Ich war glücklich! Die vergangenen Reisemonate gaben mir mehr an Erlebnissen und Eindrücken, als ich vorher je zu hoffen wagte. Ich hatte keine Ahnung, daß einer der ganz großen Höhepunkte erst noch vor mir lag. Folglich sah ich eher skeptisch und wohl auch etwas reisemüde den kommenden Tagen entgegen.

Die ersten Eindrücke zählen bekanntlich zu den Bleibenden. So konnte mein Einstand in diesem, mir noch unbekannten, Land kaum besser verlaufen, als mit dieser Fahrt in das kleine Grenzstädtchen Pasto.
Was während dieser Tour vor der Scheibe meines Busfensters ablief, glich der Inszenierung eines einzigartigen Naturschauspieles, bei dem das in allen Variationen erscheinende Grün die Hauptrolle spielte. Begleitet wurde die Fahrt von den unterschiedlichsten Landschaftsbildern in den sich abwechselnden Klimazonen.
Glich die Umgebung nahe der Grenze noch einer Alpenlandschaft mit saftigen Almwiesen, weidenden Kühen und den bis 6000m hohen Vulkangipfeln, welche aus dem nahen Equador zum letzten Mal herübergrüßten, folgte nun die Talfahrt.
Die kurvenreiche Strecke zog sich an tiefen Gebirgsschluchten entlang , welche immer wieder durch ins Tal stürzende Wasserkaskaden unterbrochen wurden, gesäumt von den ersten Kaffee- und Zuckerrohrplantagen. Hin und wieder überholten wir einen Campesino (Landarbeiter). Auf Pferd oder Esel sitzend, die Machete an der Seite baumelnd und den Sombrero tief in die Stirn gezogen, schaute er dem sich nähernden Bus skeptisch entgegen, grüßte kurz mit angedeutetem Griff zur Hutkrempe und setzte dann seinen Weg fort.
Irgendwann gelangte der Bus dann in eines der tropisch heißen Täler. Hier lösten sich Baumwoll- und Bananenplantagen mit den kleinen Dörfern der vornehmlich schwarzen Landarbeiter ab. Ein Blick auf die Stände der Händler hier an der Panamericana lies die Fruchtbarkeit dieser Region erahnen und uns Reisenden das Wasser im Mund zusammenlaufen. Tropische Früchte, gebratenes Fleisch und die einladenden Gesten der werbenden Händler waren die willkommene Einladung während der nun schon einige Stunden andauernden Fahrt.

Nachdem ich am Abend erschöpft und glücklich mein Hotel aufsuchte, fielen doch noch ein paar Schüsse. Nicht Banditenüberfälle oder Bandenkrieg , nein, Fußball war die Ursache. Kolumbien hatte nach dem Sieg gegen Equador die Qualifikation für Frankreich geschafft, was in den Städten zu Freudenfeuerwerken und Autocorsos Anlaß gab.
Eine ganze Nation und mindestens ein Tourist waren in dieser Nacht selig. Kolumbien hatte mich in seinen Bann gezogen!

Die folgenden Wochen verliefen nicht weniger erlebnisreich. Ob auf den Spuren antiker Kulturen im Süden des Landes, beim abendlichen Ausgehen in der Salsahauptstadt Cali oder beim Besuch der wiedererblühten Metropole Medellin, stets war es die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Einwohner, die mich überraschte, ja mich manchmal angesichts meiner Vorurteile sogar beschämte. Mit diesen Eindrücken und Erfahrungen (dabei auch ganz speziell vom Landleben der Kolumbianer, siehe Artikel über Landkultur) fuhr ich mit noch weniger Ängsten und Zweifeln, dafür mit mehr Interesse und Offenheit in den Norden des Landes. Hier begegnete ich Cartagena, der für mich schönsten Stadt Südamerikas. An der Karibik nahe dem Isthmus von Panama traf ich so auf eine gelungene Mischung aus moderner Architektur und den alten Gemäuern des Zentrums der Hafenstadt; die über Jahrhunderte Seeleute, Piraten und Abenteurer aller Art und Länder anzog. Und wer das südamerikanische Feeling sucht, sollte es nicht versäumen, nachts in den Diskotheken bei Salsa und Cumbiaklängen die Hüften zu schwingen.

Empfindungen ganz anderer Art hatte ich beim Abtauchen in einen der bis zu 2800m tiefen Schlammvulkane, einfach ein Muß für alle Kolumbienreisenden.
Schließlich konnte ich diesen Sinnescocktail noch mit dem "Bacardifeeling" komplettieren. An der Grenze zu Venezuela traf ich auf die traumhaften Karibikstrände mit weißem Sand, einsamen Buchten und Wasser so warm, wie in der Badewanne. Als ich mich dann nachts mit dem Rauschen der Karibik im Ohr und unter dem Schein des sternenklaren Himmels durch die Palmenblätter hindurch in meiner Hängematte räkelte, so fing ich an zu zweifeln. Hatte ich mich im Traum auf die Homepage der TUI verwählt oder war ich wirklich hier?!
Ein lauter Knall irgendwo in der Nähe sorgte wieder für die harte Realität:
So wurden im letzten Jahr laut Auskunft der Einheimischen 14 Menschen erschlagen, von Kokusnüssen! Entsprechend läuft man hier, im Gegensatz zum gewohnten Friedrichshaingang, mit dem Blick himmelwärts. Doch da Kokusnüsse im Gegensatz zu Hundekot sogar sehr schmackhaft sein können, nimmt man diese Umstellung gern auf sich, andere Länder benötigen eben auch andere Sitten.

Noch ein paar Tage im geschichtsträchtigen Bogota und ein kleiner Zwischenaufenthalt auf der kleinen Karibikinsel "San Andres", und ich zog weiter nach Lateinamerika. Meine vier kolumbianischen Wochen waren viel zu schnell abgelaufen. Auch mein kleiner Bericht geht damit zu Ende. Ich habe bisher ganz bewußt darauf verzichtet, auch von den Problemen dieses bezaubernden Landes zu erzählen. Natürlich gibt es hier ein politisches Chaos. Guerilla, Paramilitaris und an der Spitze die Drogenkartelle sorgen täglich für neue Schlagzeilen der Gewalt. Morde, Überfälle und Entführungen sind immer noch an der Tagesordnung. Man muß selbst als Tourist extrem naiv sein, um nichts von den alltäglichen Problemen der Straßengewalt, der Jugendprostitution und des allgegenwärtigen Drogenhandels mitzubekommen. Doch genau so ignorant ist es, Kolumbien nur in die Schublade von Drogen, Korruption und Gewalt zu stecken. Reist man durch dieses Land, so hat man das Gefühl, daß sich viele Menschen mit Ihrer Herzlichkeit dafür bedanken wollen, daß man sich von diesen Vorurteilen nicht hat leiten lassen. Oft wurde ich gefragt, ob mir das Land gefiele und ob ich gute Erfahrungen gemacht habe. Nachdem ich dies bejahte folgte ihre Bitte: "Sage das auch den Menschen in deinem Land. Wir sind nicht nur Drogendealer, bitte erzähle zu Hause davon." Wie oft hörte ich diese Sätze!

Nun, ich habe es in einem kleinen Artikel ausgerichtet, ein kleiner Dank verglichen mit dem, was mir dieses Land an Wärme und Herzlichkeit mit auf den Weg gab.

AS